Preußen und der norddeutsche Vund. 109
fehlbare Lehramt auf verschiedene Weise, bald in größeren Versammlungen,
bald ohne dieselben, die Irrthümer aufgedeckt und zurückgewiesen, sowie die
Wahrheit erklärt und festgestellt. In der feierlichsten Form geschah dieß
durch die allgemeinen Concilien, d. h. durch jene großartigen Versammlungen,
auf denen das Haupt und die Glieder des Einen kirchlichen Lehrkörpers zur
Entscheidung der obwaltenden Zweifel und Streitfragen in Glaubenssachen
zusammenwirken. Diese Entscheidungen haben nach der einmüthigen und un-
zweifelhaften Ueberlieferung in der Kirche stets als solche gegolten, die ein
übernatürlicher göttlicher Beistand vor Irrthum bewahrt. Deshalb haben
sich die Gläubigen zu allen Zeiten diesen Entscheidungen als unfsehlbaren
Aussprüchen des hl. Geistes unterworfen und sie mit zweifelloser Glau-
bensgewißheit für wahr gehalten. Sie haben dieß gethan, nicht etwa weil
die Bischöfe Männer von reifer und vielfacher Erfahrung, nicht weil Manche
unter ihnen in allen Wissenschaften bewandert waren, nicht weil sie aus allen
Ländern der Welt zusammenkamen und so gewissermaßen die menschliche Er-
kenntniß aller Welttheile vereinigten, nicht weil sie das Wort Gottes in einem
langen Leben erforscht und verkündet hatten und deshalb glaubhafte Zeugen
seines Inhaltes waren. Alles dieses gibt gewiß ihren Aussprüchen einen
hohen, vielleicht den höchst möglichen Grad menschlicher Glaubwürdigkeit. Das
Alles genügt aber nicht, um einen übernatürlichen Akt des Glaubens zu be-
gründen. Dieser ruht in seinem letzten Grunde niemals auf dem Zeugnisse
von Menschen, wenn sie gleich die allerglaubwürdigsten wären, und wenn auch
das ganze Menschengeschlecht in seinen besten und edelsten Vertretern dieses
Zeugniß ablegte; dieser ruht immer ganz und allein auf der Wahrhaftigkeit
Gottes selbst. Wenn daher die Kinder der Kirche die Aussprüche der allge-
meinen Concilien gläubig annehmen, so thun sie es in der Ueberzeugung, daß
Gott, die ewige und allein aus sich unfehlbare Wahrheit, bei denselben in
übernatürlicher Weise mitwirkt und sie vor Irrthum bewahrt. Ein
solches allgemeines Concil ist das gegenwärtige, welches unser hl. Vater,
Papst Pius IX., wie Ihr wisset, nach Rom berufen hat, und zu welchem die
Nachfolger der Apostel zahlreicher, als je zuvor von allen Theilen der Erde
herbeigeeilt sind, um mit dem Nachfolger Petri und unter seiner Leitung die
großen Interessen der Kirche in der Gegenwart wahrzunehmen. Nach vielen
und ernsten Berathungen hat der hl. Vater, kraft seiner apostolischen Lehr-
gewalt, am 24. April und am 18. Juli d. J. mit Zustimmung des hl.
Concils verschiedene Entscheidungen über die Lehre vom Glauben und von der
Kirche und ihrem Oberhaupte feierlich verkündigt. Hiedurch hat also
das unfehlbare Lehramt der Kirche entschieden, der heilige
Geist hat durch den Stellvertreter Christi und den mit ihm
vereinigten Episcopat gesprochen; und daher müssen Alle, die
Bischöfe, Priester und Gläubige, diese Entscheidungen als göttlich geoffenbarte
Wahrheiten mit festem Glauben annehmen und sie mit freudigem Herzen er-
fassen und bekennen, wenn sie wirklich Glieder der Einen, heiligen, katholischen
und apostolischen Kirche sein und bleiben wollen. Wenn Ihr, Geliebte im
Herrn, deßungeachtet Einsprache dagegen erheben und die Behauptung aus-
sprechen hört, daß die vaticanische Kirchenversammlung kein
wahres allgemeines Concil und dessen Beschlüsse nicht giltig
seien, so lasset Euch dadurch in Euerer Hingabe an die Kirche und in der
gläubigen Annahme ihrer Entscheidungen nicht beirren. Solche Einreden
sind durchaus unbegründet. Mit dem Papste in Einheit des Glau-
bens und der Liebe verbunden, haben die versammelten Bischöfe — gleichviel
ob sie in christlichen Ländern festgegründete Diöcesen verwalten oder unter den
Heiden in apostolischer Armuth das Reich Gottes auszubreiten berufen sind,
ob sie größere oder kleinere Heerden zu hüten haben — als rechtmäßige
Nachfolger der Apostel alle mit gleicher Berechtigung an dem Concil Antheil
genommen und haben Alles in reifliche Erwägung gezogen. So lange die