Full text: Europäischer Geschichtskalender. Elfter Jahrgang. 1870. (11)

Preußen und der norddeutsche Pund. 135 
Organisationen zu erhalten, an die man schon seit langer Zeit gewöhnt war. 
Es konnte diesen Wünschen füglich und ohne Schaden für die Einheit und 
Gemeinsamkeit nachgegeben werden, da sowohl Bayern wie Württemberg dar- 
über nicht ich Zweifel waren, daß die Gesetzgebum# des Bundes in allen diesen 
Angelegenheiten, sobald sie sich nicht lediglich auf die internen Verhältnisse 
Bayerns und Württembergs hinsichtlich des Porto's bezieht, daß die Gesetz- 
gebung über diese Angelegenheiten sich auf beide Staaten zu erstrecken habe. 
Ich bemerke hierbei, daß die bezüglichen Verabredungen in dem Vertrage mit 
Bayern und in dem Vertrage mit Württemberg nicht mit einander textuell 
übereinstimmen. Es gehört dies eben zu den Incongruenzen, welche die Ver- 
handlung an zwei verschiedenen Orten herbeiführt. Es hat nicht in der Absicht 
gelegen, sachlich durch die eine Fassung etwas Anderes zu sagen, als durch 
die andere. Bayern allein hat sich endlich noch zwei Vorbehalte gemacht, den 
einen in Beziehung auf die Vorschriften des Titels über die Eisenbahnen, 
welche eigentlich reglementärer und administrativer Natur sind. Der Vorbe- 
halt beruhte darauf, das es sich in Bayern um ein im Großen und Ganzen 
völlig geschlossenes Gebiet handelt, in welchem Gebicte neben der Staatsver- 
waltung nur eine einzige Privateisenbahn besteht, und daß man wünschte, sich 
in Beziehung auf die Regelung dieser administrativen Verhältnisse freie Hand 
zu halten. Der zweite Vorbehalt wiegt schwerer, er findet seinen Ausdruck 
darin, daß von den Gegenständen der Beaussichtigung und Gesetzgebung des 
Bundes für Bayern ausgeschlossen ist die Bestimmung über Heimaths= und 
Niederlassungsverhältnisse. M. H.! In Bayern hat bis vor 2 Jahren 
rechts des Nheins in Beziehung auf diese Materie eine Gesetzgebung bestanden, 
welche sich von der in dem größten Theile des Übrigen Deutschlands bestehen- 
den sehr wesentlich unterschied, welche der freien Bewegung ungemein starke 
Fesseln anlegte und welche, wie man jetzt auch wohl in Bayern davon über- 
zeugt ist, entschieden nicht zum Heile des Landes diente. Vor zwei Jahren 
hat man eine vollkommen neue Gesetzgebung in dieser Materie erlassen; diese 
sogenannte Socialgesetzgebung ist eben erst eingeführt, ihre Resultate sind bis- 
her günstig gewesen, und man trug in Bayern Bedenken, den Bestand und die 
Ergebnisse dieser eben erst ins Leben getretenen Gesetzgebung durch die Annahme 
der im Bunde erlassenen und in dem wichtigsten Theile im Bunde noch nicht 
einmal ausgeführten Gesetzgebung in Frage zu stellen. Es war dies ein Be- 
denken, welches sich unüberwindlich zeigte und welches zu dem Ausschlusse dieses 
Gegenstandes führte. M. H.1 Ich habe bisher eine Reihe mehr oder minder 
wesentlicher Aenderungen der bestehenden Bundesverfassung zu erwähnen ge- 
habt; ich kann zum Schlusse mit einer Befriedigung, welche, wie ich glaube, 
der Reichstag theilen wird, auf den letzten Artikel des Verfassungsentwurfs 
übergehen, auf den letzten Artikel 80. Durch diesen Artikel wird eine 
sehr lange Reihe von Gesetzen, in der That mit einer oder zwei Ausnahmen 
alle sundamentalen und wichtigen Gesetze, die im norddeutschen Bunde be- 
stehen, in Württemberg, Baden und Südhessen entweder sofort oder zu einem 
von vornherein bestimmten naheliegenden Termin eingeführt. Man hat es in 
den genannten Staaten gewagt, ohne auf Vorbereitungen in der inneren Ge- 
setzebung zu warten, den Sprung zu machen, der, wie unverkennbar ist, mit 
der en bloc-Annahme einer großen Anzahl so tief einschneidender Gesetze ver- 
bunden ist. Ich kann, m. H., hier gleich noch Eines hinzufügen. Bei den 
Verhandlungen, die über den Artikel 80 Statt fanden, war, wie Sie es be- 
greiflich finden werden, nicht immer in Beziehung auf jedes einzelne Gesetz die 
volle Orientirung über die Möglichkeit der Einführung zu einem bestimmten 
Termine durchweg vorhanden. So ist es gekommen, daß für Südhbessen die 
Einführung des Strafgesetzbuches vorbehalten ist für den 1. Jan. 1872 und 
die Einführung der Gewerbeordnung ohne einen bestimmten Termin in Aus- 
sicht genommen ist. Die großh. hessische Regierung hat es für möglich erachtet, 
nach nochmaliger Erwägung — und ich bemerke, daß die sämmtlichen bethei-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.