Full text: Europäischer Geschichtskalender. Elfter Jahrgang. 1870. (11)

Die süddeutschen Staaten. 207 
Zwangslage fügt er sich der schmerzlichen Nothwendigkeit, dem Gesetzentwurf 
zuzustimmen.“ Art. 1 und 2 werden in der Fassung der Commission ange- 
nommen und dann das ganze Gesetz in namentlicher Abstimmung mit 85 
gegen 1 Stimme (Hopf) genehmigt. Der Vorsitzende, Probst, verliest sodann 
folgende motivirte Abstimmung: „Nicht die Veranlassung des ausgebrochenen 
Krieges, in welchem wir nur eine Folge des Werkes von 1866 erblicken, son- 
dern einzig die Rücksicht auf die bedrohte Unversehrtheit des deutschen Gebiets 
und die Solidarität der deutschen Völkerschaften konnte uns in der Lage, in 
welche uns die Kriegserklärung versetzt hat, bewegen, dem Antrag der Com- 
mission zuzustimmen, wobei wir nicht unterlassen können, unsern Schmerz dar- 
Über auszusprechen, daß in diesem Augenblick schwerer Prüfung für seine Un- 
versehrtheit nicht mehr das ganze Deutschland einsteht.“ Unterzeichnet von: 
Becher, Ammermüller, Nägele, Niethammer, Wiest, Schott, Stumpp, Retter, 
Dekan Maier, Uhl, Oesterlen, Vollmer, Wolbach, Neuffer, Mayer (Besigheim) 
und anderen, zusammen achtunddreißig. 
22. Juli. (Bayern). Der Landtag wird durch k. Entschließung bis auf 
L 
24. 
weiteres vertagt. 
„ (Baden) sprengt die Rheinbrücke bei Kehl. 
„ (Württemberg). Der preußische General v. Prittwitz, der 
Erbauer der Festung Ulm, wird zum Gouverneur derselben, der 
preußische General v. Obernitz zum Commandanten der württem- 
bergischen Feldtruppen ernannt. 
„ (Bayern). 44 Professoren und Docenten der Universität Mün- 
chen (unter den z. Z. in München anwesenden fehlen somit nach 
Abzug der beurlaubten, sowie der Theologen, welche sich aus beson- 
deren Gründen nicht betheiligen, nur 10 Unterschriften aus der be- 
treffenden Kategorie des Lehrkörpers) erlassen eine öffentliche Erklä- 
rung gegen die Oecumenicität des vaticanischen Concils und gegen 
die neue Lehre der päpstl. Unfehlbarkeit: 
„In Erwägung der offenkundigen Thatsachen: daß man den zum sog. va- 
ticanischen Concil von 1869—1870 einberufenen Bischöfen die Hauptgegen- 
stände der künftigen Berathung verheimlicht und dadurch die nothwendige 
Vorberathung unmöglich gemacht hat; daß — abgesehen von der erheblichen 
Bedenken unterworfenen Zusammensetzung der Versammlung — durch die oc- 
troyirte Geschäftsordnung jede wirkliche und völlig freie Debatte in den Sitz- 
ungen verhindert wurde: daß viele Mitglieder des Concils in unbedingter Ab- 
hängigkeit von der römischen Propaganda standen und überdies sowohl vom 
Papste, als auch von dessen Behörden in Rom ein empfindlicher moralischer 
und physischer Druck auf die Bischöse ausgeübt wurde; daß endlich — was 
unsere Hauptbeschwerde bildet — gerade die wichtigsten Beschlüsse nicht mit der 
zur Definition eines Dogma's absolut erforderlichen moralischen Einstimmig- 
keit gefaßt wurden, halten sich die Unterzeichneten in ihrem Gewissen für ver- 
pflichtet, freimüthig zu erklären, daß sie die vaticanische Versammlung 
nicht als ein freies öcumenisches Concil anzuerkennen vermö- 
gen und ihren Beschlüssen keine Giltigkeit beilegen können, 
insbesondere daß sie den Satz von der persönlichen Unfehlbarkeit des 
Papstes als eine in der heiligen Schrift nicht begründete, sowohl der Tra- 
dition des kirchlichen Alterthums als der Kirchengeschichte offen widersprechende 
neue Lehre verwerfen.“ 
9. Aug. (Bayern). Die Regcierung verbietet die Veröffentlichung
	        
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