Full text: Europäischer Geschichtskalender. Elfter Jahrgang. 1870. (11)

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Hie süddeutschen Staaten. 
gen einzutreten, denn wir wußten mit Bestimmtheit, daß, wenn Bayern auch 
nicht dem Bunde sich anschließe, dieses von Seite Württembergs, Badens und 
Hessens doch geschehen würde. Und mit diesem Augenblicke war für uns, 
mindestens für eine unserer schönsten Provinzen die Möglichkeit einer gedeih- 
lichen Existenz außerhalb des Bundes ein für allemal beseitigt. Ich denke 
mir, auf wirthschaftlichem Gebiete wäre in kürzester Zeit auch für das 
übrige Bayern die Unmöglichkeit einer isolirten Existenz ceingetreten. Sie 
wissen, in welchem Maße wir des Zollvereins bedürfen.-" Mindestens und 
spätestens die Zeit, in welcher die Zollvereinsverträge zu erneuern gewesen 
wäre, würde uns die Nothwendigkeit, ohne Bedingung dem Bunde bei- 
zutreten, auferlegt haben. In diesem Sinne spreche ich von einer Zwangs- 
lage Bayerns.= Die sybillinischen Bücher sind ein abgedroschenes Beispiel, und 
doch habe ich in meinem Leben keinen Fall gesehen, in welchem die Moral der 
alten Sage von diesen Büchern besser am Platze gewesen wäre, als gerade 
jetzt. Darf ich Sie denn nicht daran zurückerinnern, daß Preußen im Jahre 
1866 bei Lösung des alten Bundes Vorschläge gemacht hat, die den Eigen- 
thümlichkeiten der einzelnen Staaten noch ein wesentlich freieres Feld ließen, 
als später die norddeutsche Bundesverfassung Jene Propositionen hat man 
zurückgewiesen. Sie gingen ja viel zu weit! Sie entfernten sich von dem 
alten deutschen Bunde in einer Weise, daß man sich in Süddeutschland mit 
diesen Propositionen unmöglich vertragen konnte! Aus dem, was ich inzwi- 
schen erlebt habe, — ich kann Ihnen dieses nicht mit Schwarz auf Weiß nach- 
weisen, aber ich bitte Sie, glauben Sie es mir — habe ich die Ueberzeugung 
geschöpft, daß, wenn wir vor der großen Krisis und bevor die Nation und 
dasjenige, was die Nation that, so hoch stand, wie in der letzten Zeit, das 
Anerbieten gemacht hätten, uns mit dem norddeutschen Bunde abzufinden, daß, 
sage ich, die Bedingungen, welche damals zu erlangen gewesen wären, noch 
ein ganz anderes Bild geboten hätten, als der Vertrag, den wir Ihnen heute 
vorlegen. Jetzt sind wir wieder an dem Punkte, uns entscheiden zu müssen; 
wir haben uns wieder über Bedingungen schlüssig zu machen — weisen Sie 
sie nicht zurück! Zum zweiten Male werden auch diese Bedingungen von kei- 
nem Reichstage, von keiner Bundesregierung bewilligt. Sagen Sie mir nicht, 
was man bisweilen hört: wir wollen diese Bedingungen nicht; wir wollen, 
wenn doch Bayern zu Grunde gehen soll, mit Ehren zu Grunde gehen; 
sagen Sie mir nicht, wir wollen lieber annectirt sein. Ich betrachte diese 
Aeußerungen lediglich als vorläusige Aeußerungen des Unmuthes über eine 
Lage, von dex ich recht wohl fühle, daß sie für Mehrere in diesem Hause 
peinlich ist. assen Sie mich nun noch der Empfindungen der Großdeutschen 
gedenken. Ich thue dieses sehr gerne, meine Herren, weil ich bis in die neueste 
Zeit zu den Großdeutschen gehört habe und dem Herzen nach noch ein Groß- 
deutscher bin. Den Schmerz der Herren, die ein Deutschland jetzt werden 
sehen gegen ihre Wünsche, begreife ich wohl. Ich wünschte auch, es wären 
alle deutschen Brüder in dem Bunde vereinigt, den wir zu schließen im Be- 
griffe sind. Es sind nicht blos Sympathien allein, die mir diese Worte in 
den Mund legen, es sind sehr reale Erwägungen. Ich fühle sehr wohl, was 
es heißt, Deutschland mit einer Mehrzahl kleinerer Staaten und Einer Groß- 
macht zu reconstruiren; ich erkenne sehr wol die Gefahren, die für die einzel- 
nen Staaten in dieser Verbindung liegen könnten. Aber mit der Politik der 
Großdeutschen hat meines Erachtens das Jahr 1866 aufgeräumt. Das Ge- 
biet der Thatsachen, auf dem man sich bei Handhabung der Politik be- 
wegen muß, schließt die Politik der Großdeutschen, meiner Ansicht nach, fürs 
Erste, und bis vielleicht auch für diese wieder glücklichere Zeiten kommen, aus. 
Jetzt nützt es nichts mehr, der großdeutschen Idee nachzuhängen. Einer Wittwe 
steht die nie endende Trauer um den verlornen Gatten, um das Ideal ihres 
Lebens, sehr wohl an; den Regierungen und Völkern ist ein solches Trauern 
über ein verlornes Ideal nicht vergönnt; Regierungen und Völker müssen von
	        
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