Full text: Europäischer Geschichtskalender. Elfter Jahrgang. 1870. (11)

Hie füddeutschen Staaten. 225 
der Bahre eines verlornen Ideals weg den Blick zum Leben kehren, und das 
haben wir gethan. Sie kennen nunmehr die Motive, die uns in die Lage 
brachten, Verhandlungen anzuknüpfen. Es geschah, wie Sie wissen, dadurch, 
daß wir der preußischen Regierung gegenüber den Wunsch aussprachen, es 
möchte ein Abgeordneter derselben hieher kommen, um mit ihm die Lage der 
Dinge zu besprechen und einen Boden dafür zu gewinnen, wie dann die Ver- 
handlungen weiter zu pflegen seien. Dieser Einladung hat man bereitwilligst 
entsprochen, und der Präsident des Bundeskanzleramtes, Staatsminister Del- 
brück, hat sich hieher begeben. Die Besprechungen, welche wir mit ihm hat- 
ten, wurden unter dem Eindrucke gepflogen, den man in Suüddeutschland, 
namentlich (zur rechten Seite des Hauses gewendet) auf Ihrer Seite, meine 
Herren, bezüglich des norddeutschen Bundes hatte; sie wurden gepflogen unter 
der Befürchtung, daß die dermalige Gestaltung des norddeutschen Bundes 
leicht zu viel unifizirende und zu wenig föderative Elemente enthielte. Wir 
glaubten, in dieser Bundesverfassung, so wie sie lag, sei der berechtigte Par- 
ticularismus, von dem man heute noch nicht viel sprechen darf, der aber, wie 
ich überzeugt bin,sehr bald zu größerer Ehre kommen wird, nicht hinreichend 
gewährleistet. Die Verhandlungen wurden gepflogen unter dem Eindrucke der 
aus dem Hauptquartiere kommenden außerordentlich freundlichen Mittheilun- 
gen, die wir vielleicht zu unsern Gunsten etwas zu weit ausgelegt hatten; sie 
wurden gepflogen unter der Voraussetzung, daß, wenn man ganz Deutschland 
in einen Bund vereinigen könne, es wohl zu erreichen sei, daß der norddeutsche 
Bund in wesentlichen Beziehungen umgestaltet werden könnte; sie wurden ge- 
pflogen endlich unter dem Gedanken, daß es vorerst unsere Aufgabe sei, die 
Lage kennen zu lernen, und daß es in diesem Stadium natürlich nicht gera- 
then sei, seinen allerletzten Gedanken sogleich auszusprechen. Die Propositionen, 
die wir damals gemacht haben, stehen hinter dem Vertrage, der nunmehr zu 
Ihrer Genehmigung vorliegt, weit zurück. An den Besprechungen mit dem 
Staatsminister Delbrück hat Württemberg Antheil genommen und hat viel- 
fach unsern Standpunkt getheilt. Auch Württemberg hat einen weniger weit 
gehenden Standpunkt hier eingenommen, als in den späteren Verhandlungen 
zu Versailles. Unser Grundgedanke war der, es solle und müsse ein lebens- 
fähiger Bund geschlossen werden, ein Bund, der mehr Thätigkeit und Wirk- 
samkeit zu entfalten im Stande wäre, als dieses bei dem alten deutschen 
Bunde der Fall war; daß diesem Bunde somit alles Nöthige abgetreten wer- 
den müsse, Alles aber, was nicht absolut zur Herstellung der Einigkeit erfor- 
derlich sei, den einzelnen Staaten belassen werden könne. Ich mache kein Hehl 
daraus, ich, habe damals geglaubt, man dürfte die Competenz des Bundes in 
Bezug auf die Justizgesetzgebung bei Weitem nicht in dem Maße anerkennen, 
wie es später in dem Vertrage geschehen ist. Und wenn ich diesen Standpunkt 
eingenommen habe, so darf ich mich auf das Beispiel anderer Föderationen 
berufen, die in der That in Bezug auf die Zusammenfassung der nationalen 
Kräfte nicht weniger leisten, als wir vielleicht zu leisten im Stande sein wer- 
den, und doch auch auf dem Gebiete nicht so weit unifizirend vorgegangen 
sind, als die deutsche Bundesverfassung dieses thut. Ich erinnere in dieser 
Beziehung an Amerika, an die Schweiz. In dem Standpunkt, den ich in 
dieser Beziehung eingenommen habe, wurde ich — ich werde wohl nicht miß- 
verstanden, wenn ich diese Ausdrücke gebrauche — von Patrioten Bayerns 
und bayerischen Staatsmännern ernstlichst unterstützt. Wir haben damals 
auch noch mit ganz entschiedenem Gewichte die Unmöglichkeit betont, ein so 
hohes Militärbudget für das Land zu übernehmen, wie es, die norddeutsche 
Bundesverfassung den einzelnen Staaten auflegt. Wir verzweifelten damals 
nicht an der Möglichkeit, die Militärlast nicht etwa für uns allein — denn 
das hielt ich für meinen Theil für absolut unmöglich —, aber für ganz 
Deutschland abzumindern, wenn der neue Bund geschaffen wäre. Auf unsere 
hiesigen Propositionen, an deren Mittheilung, wie es scheint, das hohe Haus 
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