Full text: Europäischer Geschichtskalender. Elfter Jahrgang. 1870. (11)

Oesterreich--Ungarn. 281 
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feindlichen „nationalen“ Parteien die Mehrheit haben; denn wenn auch inner- 
halb der liberalen Kreise mancherlei Schattirungen sich vorfinden, und diver- 
Hirende Ansichten über das Maß der den „Nationalitäten“ in autonomistischer 
NRichtung zu machenden Zugeständnisse herrschen, so perhorreszirt man dort we- 
nigstens jede Lösung der innern Schwierigkeiten außerhalb des verfassungs- 
mäßigen Weges, sowie jeden Ausgleich, der die Reichseinheit in ihren wesent- 
lichen Fundamenten zerrütten könnte. Ein kurzer Ueberblick über den Ausfall 
der Wahlen in den einzelnen Ländern ergibt Folgendes: In Niederöster- 
reich haben die Clerikalen in den Landgemeinden drei Candidaten durchgesetzt; 
der Großgrundbesitz wählte durchaus clerikal-seudal. Die übrigen Wahlen 
sind zu Gunsten der liberalen Partei ausgefallen, so daß letztere die Mehrheit 
haben wird. In Steiermark ist die Verfassungspartei mit 43 Stimmen 
gegen 14 Clerikale und 5 Nationale in der Mehrheit; ebenso in Mähren, 
wo 40 Verfassungstreue 28 „Deelaranten“, die fast alle in den Landgemein- 
den gewählt sind, gegenüberstehen. In Oberösterreich haben die Land- 
gemeinden, die früher keinen einzigen Clerikalen entsandten, diesmal durchaus 
clerikal gewählt. Durch den Ausfall der Städte= und Großgrundbesitzwahlen 
wird aber trotzdem in diesem Landtag die Verfassungspartei mit ca. 29 gegen 
21 Stimmen die Majorität haben. In Krain verfügt die „nationale“ (slo- 
venische) Partei über 21 von 37 Landtagssitzen. Der Großgrundbesitz wählte 
auch hier durchaus verfassungstreu. In Kärnthen wählten sämmtliche Grup- 
pen verfassungstreu. In Salzburg ist durch den Ausfall der Großgrundbesitzer- 
wahlen der Verfassungspartei die Mehrheit gesichert. Die Landgemeinden hatten 
7 Clerikale, 1 Liberalen, Städte= und Handelskammer 10 Liberale, 3 Cleri- 
kale gewählt. In Schlesien wurde kein einziger Ultramontaner und Feu- 
daler gewählt. In Böhmen, wo nur für die ihres Mandates verlustig ge- 
wordenen „Declaranten" Neuwahlen stattfanden, wurden lauter „Declaranten“, 
meistens die früheren Abgeordneten, wiedergewählt. In Galizien werden 
die vereinigten Clerikalen, Aristokraten und „Resolutionisten“ die Mehrheit 
haben, während die föderalistischen, czechen-freundlichen „Demokraten“ mit 
Smolka an der Spitze in einer entschiedenen Minderheit sein werden. In 
Tyrol haben die deutschen Gemeinden (ebenso wie in Vorarlberg) alle clerikal, 
die italienischen „national“ gewählt. Trotz verschiedener liberaler Wahlen der 
übrigen Gruppen wird die clerikale Partei die Mehrheit haben. In Dalma- 
tien, Istrien, Bukowina sind die Wahlen größtentheils im nationalen 
Sinne ausgefallen. Vorerst haben die Wahlen jedenfalls das Resultat erge- 
ben, daß das verfassungsmäßige Leben in Oesterreich wesentlich von der Hal- 
tung des Großgrundbesitzes abhängt, die indeß in den meisten Ländern den 
Ausschlag zu Gunsten der Verfassungspartei gegeben hat, ein Umstand, der 
bei der beabsichtigten Reform des Wahlgesetzes schwer ins Gewicht fällt. 
2. Juli. Erzherzog Albrecht begrüßt den Czar bei seiner Rückkunft aus 
3. 
6. 
12. 
Deutschland in Warschau. 
„ (Oesterreich). Der bisher zur verfassungstreuen Partei gerech- 
nete Abg. Stremayr wird zum Cult= und Unterrichtsminister ernannt. 
„ (Oesterreich). Schlußverhandlungen gegen die des Hochver- 
raths angeklagten Arbeiterführer. Dieselben bringen vielfach interes- 
sante Enthüllungen zu Tage. 
„ (Ungarn). Unterhaus: In der Conferenz der Deak-Partei in- 
terpellirt Pulszky die Regierung: ob sie an die Annahme oder Ver- 
werfung eines Punktes des Municipalgesetzes ihre Stellung knüpfe, 
worauf Szlavy erwiedert: die Regierung werde ihre Demission geben,
	        
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