300 Vesterreich-Ungarn.
Sache selbst entgegenzukommen. Die kriegerische Aufregung des
ersten Augenblicks beginnt bereits sich allmählich zu legen und ruhiger
Erwägung Platz zu machen.
17. Nov. (Oesterreich). Reichsrath, Herrenhaus: Adreßdebatte. Graf
Anton Auersperg legt den Commissionsentwurf vor, der sich aufs ent-
schiedenste gegen die föderalistischen Bestrebungen der Czechen 2c. und
gegen das Vorgehen des Ministeriums Potocki ausspricht, das ent-
weder etwas Unmögliches „den Ausgleich zwischen unvereinbarlichen,
sich wechselseitig ausschließenden Gegensätzen“ versucht habe und ver-
suche, oder aber bloß „unter der täuschenden äußern Form der Ver-
fassung“ auf ihre Zerstörung ausgehe: «
,,...WenndieWiederaufnahmederparlamentarischenArbeitendurchdie
Ruhe nach außen wesentlich gefördert erscheint, so bedarf es doch zu deren
fruchtbringendem Gedeihen zumeist der Segnungen des darum um so schmerz-
licher noch vermißten innern Friedens. Wir beklagen aufrichtig jede Störung
desselben, und so insbesondere auch jene, welche der regelmäßige Gang der
Berathungen des Abgeordnetenhauses zu Ende der vorigen Session zu erleiden
hatte. Wir können hiebei das Bedauern nicht unterdrücken, daß die von
Ew. Majestät Regierung in dieser Hinsicht getroffenen Maßregeln mindestens
nicht als zweckdienlich bezeichnet werden können; denn nicht hintanhalten, viel-
mehr nur ermuthigen kann es ähnliche Störungen, wenn die Pflichtvergessenen
oder Verirrten so leicht und gefahrlos ihr Ziel erreichen durften. Ja, wir
sehen bereits als Folgen jener Maßnahmen, insbesondere der Auflösung
sämmtlicher Landtage ohne Unterschied, so viele bewährte und sichere parla-
mentarische Stützen einer verfassungstreuen Regierung und Reichsvertretung
beseitigt, und in die letztere, statt deren angestrebte Vollzähligkeit erzielt zu
haben, nur noch tiefer klaffende Lücken gerissen. Mit wahrem Leidwesen
vermißte demnach auch das Herrenhaus in den Reihen des Reichsraths, bei
dessen Wiedereröffnung die Vertreter des Königreichs Böhmen, und dießmal
sogar auch jene Abgeordneten dieses Landes, welche in den bisherigen Sessio-
nen pflichtgetren an der gemeinsamen verfassungsmäßigen Thätigkeit theil-
genommen haben, denen aber die Gelegenheit hiezu genommen und bis dahin
noch nicht wiedergegeben war. In der seither erfolgten Anordnung der direc-
ten Wahlen wurde das gesetzlich dargebotene Mittel ergriffen, um diesem durch
die Pflichtverweigerung des damaligen Landtags entstandenen Uebelstande thunlichst
abzuhelfen. Die Bemühungen der Regierung jedoch, auch die absichtlich und
grundsätzlich Fernbleibenden zu gleicher Theilnahme heranzuziehen, mußten
voraussichtlich erfolglos bleiben, denn Versuche eines Ausgleichs zwi-
schen unvereinbarlichen, sich wechselseitig ausschließenden
Gegensätzen kennzeichnen sich schon im Voraus als unfruchtbar
und aussichtslos. Die gesetzliche Gewalt, welche sich zur Unterhandlung
mit Bestrebungen herbeiläßt, die so entschieden außerhalb des Gesetzes Stel-
lung nehmen, untergräbt ihre eigene Grundlage und verwirrt das öffentliche
Rechtsgefühl. Wenn zudem ein Landtag durch seine Beschlüsse den eigenen
Ursprung, die Verfassungsgesetze, verleugnet, dann liegt in der fernern Dul-
dung seines Fortbestandes eine permanente Mißachtung sowohl jener Gesetze,
als auch der gleichzeitig tagenden verfassungsmäßigen Reichsvertretung. —
Das nachsichtsvolle Urtheil Ev. Majestät über die Motive der Widerstreben-
den muß uns in dieser Richtung geziemende Zurückhaltung auferlegen. Durch
das wiederholte Scheitern jener Ausgleichsversuche jedoch ist abermals der
schon früher augenscheinlich gewordene Beweis vor Mit= und Nachwelt her-
gestellt und erneuert: daß auch ohne Mitwirkung der Dissidenten die innere
Gestaltung des Reichs zum endlichen Abschlusse gebracht werden muß. — Ew.