Oesterreich-Angarn. 301
Maj.! Das Herrenhaus ist sich bewußt, seit seinem Bestehen dem die Wohl-
fahrt und Machtstellung des Reichs fördernden Gedanken im Sinne der Aller-
höchsten Thronrede getreulich durch Wort und That Ausdruck gegeben zu
haben; nicht minder aber darf es mit Beruhigung darauf hinweisen, daß es
im legislativen Zusammenwirken mit dem Abgeordnetenhaus jederzeit, und
insbesondere bei Revision der Verfassung, auch für die Wünsche der Länder
und Reichstheile eingehendes Verständniß und ein bis an die Grenzen der
Selbstverleugnung reichendes Entgegenkommen an den Tag gelegt hat. In
gleicher Richtung und gleicher Pflichttreue wird auch sein ferneres Wirken in
dem Boden jener Staats grundgesetze wurzeln, welche, durch die Sanc-
tion Ew. Majestät zur unantastbaren Grundveste unsers öffentlichen
Rechts geworden, in sich selbst die Mittel und Wege zu weiterer zeitgemäßer
Ausbildung bieten. Diese bereits gegebenen Grundlagen noch weiter zu
sichern und zu befestigen, bedarf es der steten Pflege, sorgsamsten Achtung
und Wahrung derselben, hiebei aber vor allem des belebenden und ermuthi-
genden Einklangs zwischen dem seiner staatsbürgerlichen Nechte und Pflichten
bewußten Volk und einer ihre Aufgabe und deren Zielpunkte richtig erfassen-
den Regierung. Einer solchen sind in dem Geist und in der Macht des Ge-
setzes die Wege geboten, allen gegen den Rechtsbestand und die Kräftigung
der Verfassung, sowie gegen die centrale Reichsgewalt gerichteten Sonder= und
Gegenbestrebungen ausdauernd und wirksam zu begegnen, und rechtswidrige
Anmaßungen fest und entschieden zurückzuweisen. Die thatkräftige Handhabung
und Durchführung dieser auf freisinniger Grundlage ruhenden Verfassung
ist aber zugleich die sicherste Schutzwehr für die in ihr gewährleistete bürgerliche
Freiheit und nationale Gleichberechtigung. — Das Herrenhaus hat zu wieder-
holtenmalen, und namentlich in seiner letzten ehrfurchtsvollen Adresse, Anlaß
gefunden, diesen seinen Anschauungen und Ueberzeugungen Worte zu leihen; die
seitherigen Erfahrungen und Erlebnisse sind keineswegs derart, um dieselben
erschüttern zu können. Denn nicht entziehen dürfen wir uns der schmerzlichen
Wahrnehmung, daß seit dem Schlusse der letzten Session die Unbotmäßig-
keit gegen das giltige Recht und Gesetz, der Zwiespalt der Parteien
und Volksstämme, der Widerstand gegen die verfassungsmäßigen Institutionen,
sowie die auf Lockerung des Reichsverbandes abzielenden Bestrebungen, in
bedenklichster Steigerung und in immer weiteren Kreisen bis in die Grund-
elemente der staatlichen Gesellschaft um sich greifend, bereits zu Zuständen
geführt haben, deren voraussichtliches Ende, wenn nicht mit den rechten Mit-
teln noch zu rechter Zeit Einhalt gethan wird, nur die Lähmung der Staats-
gewalt nach außen, die anarchische Zersetzung nach innen sein kann.
Der schwankende Boden einer unablässigen Willfährigkeit und Nachgiebigkeit
gegen die verschiedenartigsten und widersprechendsten Particularanforderungen
ist nicht geeignet, die Grundlagen eines geordneten staatlichen Gemeinwesens
zu befestigen, wohl aber selbstsüchtige Sondergelüste, wie die Erfahrung dar-
thut, bis zur Unersättlichkeit groß zu ziehen. Die Wohlfahrt und Macht-
stellung des Reichs aber wird nicht befestigt, wenn sich das Ganze den Thei-
len unterordnen und seine souveränen Machtattribute an diese abgeben soll,
wohl aber sollten Länder= und Volksstämme, für deren Einzelnbedürfnisse in
der Verfassung reichlichst vorgesehen ist, endlich und ernstlich auch das Ge-
sammtbedürfniß, das Wohl und die Kraft des Staatsganzen in erster Reihe
unter die Bedingungen ihrer Befriedigung aufnehmen. — Wir verkennen nicht
die Schwierigkeiten der Zeitlage, aber sie sind unsers Erachtens wohl auch
gesteigert worden durch die in letzter Zeit eingeschlagenen Bahnen. Die noth-
dürftige Wahrung der äußern Form kann für sich allein nicht ge-
nügen, ja sie kann vielmehr ein gefährliches Spiel mit dem Rechtsgefühl des
Volkes in sich schließen, wenn die unter der täuschenden äußern Form
vorgehende Action den Bestand der geltenden Rechtsordnung in Frage
stellt, und die Absicht durchblicken läßt, deren positive Bestimmungen zu Gun-