Oesterreich-Ungarn. 305
besser unterbleiben, und es werde besser sein, es bei der Anzeige von der
Thatsache des: Abschlusses der Verträge zu belassen. „Ungestört durch in-
nere deutsche Fragen können wir dann mit um so mehr Freiheit uns über
unsere künftigen Beziehungen zur leitenden deutschen Macht in dem oben be-
zeichneten freundschaftlichen Sinn aussprechen.“
8. Dez. (Oesterreich: Böhmen). Die Czechenführer richten im Namen
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der „politischen Nation der Böhmen“ ein Promemoria an den Reichs-
kanzler über die auswärtige Politik des Reiches, in dem sie ihrer
Abneigung gegen Deutschland, sowie dagegen ihrer Sympathie für
Frankreich, für Rußland und für die stammverwandten Völker des
osmanischen Reichs im Gegensatz gegen eine „rücksichtslose Aufrechthal-
tung der auf diesen Völkern lastenden, in sich moralisch unhaltbaren
und materiell verfallenden Macht der Türken“ Ausdruck geben.
Das Actenstück ist von den Declaranten des böhmischen Landtags, an
ihrer Spitze von Palacky und Rieger, unterzeichnet, während die böhmischen
Feudalen, Clam-Martinic, Thun rc. ihren Beitritt abgelehnt haben. Im
Eingange desselben wird ausgeführt, daß in diesem ernsten Momente die
„politische Nation der Böhmen" durch „zwingende“ Verhältnisse gehindert sei,
in einer „allseits anerkannten" Vertretung ihre Stimme zu erheben, und die
„Mediatisirung“ Böhmens beklagt, sowie der der czechischen Nation zugemu-
thete „politische und nationale Selbstmord“, den sie beginge, wenn sie ihre
ohistorisch-staatsrechtliche Individualität“ aufopfern wollte, woran sich die Be-
tonung des „Selbstbestimmungsrechts“ der Völker knüpft, das allein Oester-
reich retten könne, „ebensowohl bei der Neugestaltung des Reichs im Innern
wie nicht minder nach außen bei der sich eben vollziehenden Umgestaltung
Europa's“. Das Actenstück schließt mit den Worten: „Diesen Ausdruck der
Gesinnung unsers Volkes erachten wir in diesem ernsten Momente für noth-
wendig; wir richten denselben zugleich an den Reichskanzler, der die Politik
des österreichischen Völkerreiches im Interesse und im Geiste aller seiner Völker
zu leiten berufen ist. Wir wünschen, daß er ebensowohl zur Kenntniß Sr.
k. k. apostolischen Majestät, unsers legitimen Königs, als auch zu jener der
Vertretungen der andern Nationen dieses Reiches gelange."
„ Der Reichskanzler Beust sendet den Czechenführern ihr Prome-
moria über auswärtige Politik vom 8. d. M, zurück, zugleich mit
einem rückhaltlosen scharfen Tadel ihrer agitatorischen Bestrebungen:
„ .. In den Ausführungen über die Frage der Neutralität des schwar-
zen Meeres erkenne ich das politische Schwergewicht der Denkschrift. Daß die
böhmische Nation an den für das schwarze Meer geltenden Bestimmungen ein
größeres. Interesse als irgend ein anderer Volksstamm Oesterreichs haben
sollte, ist nicht wohl abzusehen. Mir scheint aber, daß sie ein gleiches Inter-
esse mit allen diesen Stämmen habe: daß Recht Recht, Vertrag Vertrag bleibe.
Offenbar liegt in der Accentuirung des Gegentheils eine politische Manifestation
zu Gunsten einer Macht, mit der wir zwar an sich befreundet, aber gerade
über den in Rede stehenden Gegenstand in ernster Erörterung begriffen sind.
Ein solches Vorgehen kann nicht anders als dem schärfsten Tadel begegnen.
Als ich im Jahr 1867 als Präsident des Ministeriums noch mit der Leitung
der innern Angelegenheiten betraut war, fand die Demonstration der Reise
mehrerer politischen Persönlichkeiten nach Moskau statt. Es be-
wies ein hohes Maß der Versöhnlichkeit, daß die Regierung damals dem
von mancher Seite ihr nahegelegten Gedanken einer Ahndung dieses Vorgangs
in keiner Weise Folge gab. Allein auch die Versöhnlichkeit hat ihre Grenzen,
zumal, wenn das richtige Verständniß für dieselbe nicht vorhanden ist, und
ihr die wichtigsten Interessen des Staates geopfert werden sollen. Die Macht
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