TFrankreich. 345
das Senatusconsulst von 1869 eingeführt, eben sie ist die gegenwärtige Regie-
rungsform. Frankreich hat sich also von der Dictatur befreit, und ist ein
freies Land. Man wirft uns ebenso ungerechter Weise Abfall von den Prin-
cipien, die uns an's Ruder gebracht haben, und Beweglichkeit unserer Ueber-
zeugungen vor. Zwanzig Jahre lang lebte ich in der tiefsten Zurückgezogen-
heit, und trat aus derselben erst an dem Tage wieder hervor, als die poli-
tischen Freiheiten wieder eine Stätte in den politischen Institutionen fanden.
Ich kam sie zu üben und zu vertheidigen. Ueberzeugungen, die sich so sichtlbar
bekräftigt haben, sollte man nicht so leichthin verdächtigen. (Beifall.) Diese
Ueberzeugungen fasse ich in zwei Worte zusammen: Ordnung und Freiheit.
So lautet auch allenthalben der Wunsch der Bevölkerungen; man will Refor-
men, aber keine Revolution, eine eingeschränkte und controlirte Regierung, aber
keine Barrikaden und keine gewaltsamen Erschütterungen. Dies ist das all-
gemeine Gefühl in Frankxeich, welches uns darum auch in unserm Werke bei-
stehen und alle Hindernisse, die man uns in den Weg legt, überwinden lassen
wird. (Sehr gut!) Man spricht von der Verschiedenhcit unseres Ursprungs
und unserer politischen Vergangenheit, und zwar nicht gerade in der Absicht, das
Zute Einvernehmen, welches unter uns besteht, zu stärken. Was liegt an dieser
Verschiedenheit des Ursprungs, wenn wir thatsächlich zu jener Einheit des
Willens gelangt sind, welcher die Einheit der That auf dem Fufe folgt.
Dieses Einvernehmen ist darum so stark, weil es nicht nur auf gegenseitiger
Achtung, sondern insbesondere noch auf drei wichtigen Erwägungen beruht.
Wir stehen einem Souverän gegenüber, welcher durch einen edelmüthigen
und in der Geschichte seltenen Entschluß freiwillig den Wünschen der Bevölke-
rungen nachgegeben und sich eines Theils seiner Gewalten entäußert hat, und
welcher sich mehr und mehr entschlossen zeigt, die regelmäßige Freiheit in
seinem Lande zu gründen, welches alles, nur nicht der Liebe zur Freiheit,
überdrüssig geworden ist. (Sehr gut!) Dieser Souverän rief unsere patrio-
tische Hingebung un, und wie hätte das Land und eines Tages die Geschichte
uns verurtheilt, wenn wir einem so großen und so schwierigen Unternehmen un-
sere Mitwirkung versagt hätten! So waren wir denn erstens einig, diesen
Appell bejahend zu beantworten, und das Beharren des Kaisers in seinem li-
beralen Verhalten ist der erste Grund und die Bedingung selbst der unter
uns herrschenden Harmonie. Wir sind zweitens einig, weil wir von unserm
Observationsposten die Lage Europa's ins Auge fassen. Wir wollen den
Frieden, den dauernden Frieden mit allen seinen Consequenzen für die Ent-
wicklung der inneren Freiheiten und des allgemeinen Wohlergehens. Dies ist
die Politik des Cabinets. Wir sind dafür verantwortlich, und sie ist unser
Eigenthum, und nicht, wie Hr. Jules Favre behaupten wollte, das Eigenthum
der persönlichen Regierung. Wir wollen die Erhaltung des Friedens, und
setzen alle unsere Kräfte für dieselbe ein; aber um dieses Ziel zu erreichen,
dazu gehört eine feste Hand, ein stolzes Herz und ein wachsames Auge. Der
dritte Grund ist endlich die Lage Frankreichs selbst. Wir wollen noch
immer, wie nach außen, den Frieden, den socialen Frieden, der sich nur durch
die wahre Freiheit begründen läßt. Die wahre Freiheit nenne ich aber die,
welche darin besteht, nicht die Antorität ihrer nothwendigen Befugnisse, sondern
die Opposition ihrer rechtmäßigen Beschwerden zu entwaffnen. (Sehr gutl)
In dieser Richtung wollen wir als Minister und Abgeordnete zugleich wirken.
So viel über die angeblich im Schooße des Cabinets herrschenden Verschieden-
heiten. Wir sind einig durch das Gefühl unserer gemeinsamen Pflicht. Zu-
sammen sind wir mit einem bestimmten Ziel an's Ruder gekommen; zusam-
men streben wir dieses Ziel an; die regste Solidarität, der vollkommenste Ein-
klang herrscht unter den Mitgliedern des Cabinets und wird unter ihnen
herrschen. Nicht einen Stein wird man aus dem Gebäude vom 2. Januar
nehmen können, ohne daß es ganz zusammenbräche. (Lebhafter Beifall.) Wir
zählen für unser Werk auf den Beistand der Kammer. Allen drängt sich jetzt