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Trankreich.
dieselbe Nothwendigkeit auf, und wenn die Kammer dem Souverän und dem
Cabinet ihren ehrlichen Beistand leiht, ohne Neue, ohne Reaction, ohne Rück-
bale warum sollten wir ihn dann von uns weisen! Warum sollten wir dem
ande neue Aufregungen bereiten, die nie ohne Gefahr sind, und die in die-
sem Fall ohne Grund wären. Wir haben Gesetze über die Wahlen, über die
städtische Verfassung, über die Presse, Über die allgemeine Sicherheit, über die
Decentralisation auszuarbeiten oder zu revidiren, eine Enquête über die wirth-
schaftlichen Fragen auszuführen, ein Budget zu. votiren, und wir sollten noch
ehe unser Tagewerk begonnen, uns schon um den folgenden Tag kümmern?
Man wirft uns auch vor, daß wir nicht vorwärts kämen; aber man vergißt,
daß das Cabinet, welches seit 6 Wochen zwischen den Aufregungen der Tri-
büne und jenen der Straße lebt, den Morgen den Geschäften, den Tag den
Neden und die Nacht den Emeuten geben muß. (Sehr gut!) Gestatten Sie
mir, mit zwei Bitten, oder, wenn Sie wollen, mit zwei Rathschlägen zu schlie-
ßen. Vor Allem, verlangen Sie nicht von der Regierung, daß sie die Welt
durch Aufsehen erregende Thaten in Erstaunen setze. Die Zeitungen, sagt
man, brauchen eine Idce per Tag. (Heiterkeit.) Die Völker, welche arbeiten,
kennen dieses Bedürfniß nicht. Die politische Bühne ist kein Schauplatz für
Effectstücke und Ueberraschungen. Die freien Völker wollen befragt, aber nicht
überrascht sein. (Sehr gut!) Und zweitens lassen wir die Vergangenheit und
ihre Händel in Frieden ruhen; und denken wir an die Zukunft. Drängen
Sie uns, das ist Ihr Recht; aber geben Sie uns die Mittel zu handeln;
wir fühlen die Nothwendigkeit der That stärker als irgendwer. Und nun
steht es bei Ihnen, meine Herren, sich über die Politik des Cabinets zu er-
klären. (Langer und stürmischer Beifall.) J. Favre replicirt dem Minister
in einer mit Complimenten reich ausgestatteten Rede, Die Thatsache, sagt er,
daß die ganze Wendung nur einem Senatusconsult zu danken sei, bleibt für
die Freunde der Freiheit eine äußerst demüthigende; ein Senatusconsult kann
nehmen, was ein Senatusconsult gegeben hat. Darum bleibe die Situation
der Kammer eine falsche und unsichere. Die Regierung der Nation durch die
Nation wird erst dann eine vollständige sein, wenn die Vertreter des Landes
alle Rechte wieder erlangt haben werden, welche aus der Volkssouveränetät
herzuleiten sind, erst dann, wenn den Ministern Abgeordnete gegenüberstehen
werden, welche nicht bloß aus Nachgiebigkeit und Dank einer Vermittlung,
sondern aus: Leidenschaft für die Freiheit an jenem Werke mitwirken werden,
bei dessen Ausführung ich dann die Minister mit allem meinem Beifall be-
grüßen und nöthigenfalls mit meinem Beistand unterstützen werde.
Die Debatte wird damit geschlossen und mit 232 gegen 18 Stimmen be-
schlossen: „Angesichts der so deutlichen und der so loyalen Erklärungen des
Ministeriums, welche die Ordnung und die Freiheit in Frankreich sichern, geht
die Kammer vertrauensvoll zur Tagesordnung über.".
23. Febr. Der neue Seinepräfect, Hr. Chevreau, trägt beim Municipalrath
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von Paris auf ein Anlehen von 250 Mill. behufs Fortsetzung der
Bauten an, was einstimmig genehmigt wird.
—24. „Geetzgeb. Körper: Debatte über eine Interpellation betr.
die offiziellen Candidaturen. Das Ministerium sucht erst auszu-
weichen, wird jedoch schließlich genöthigt, sich bestimmf auszusprechen
und zwar gegen das bisherige System. Bruch mit der Rechten
(der alten Majorität). , «
23.Febr.,:.C.hev.andierdeBaldrömc,MinisterdeannetmOhne Zweifel
schließt die Gründung einer parlamentarischen Regierung das Aufgeben dessen in
sich, was man das System der offiziellen Candidaturen nennt; allein, indem die
Regierung diese Erklärung abgibt, ist sie durchaus nicht gewillt, auf das