Full text: Europäischer Geschichtskalender. Elfter Jahrgang. 1870. (11)

416 Rom. 
45. Febr. Der Papst erklärt auf eine Andeutung, ob nicht, um die 
Gemüther sich sammeln und beruhigen zu lassen, eine Vertagung 
des Concils als angezeigt erscheine, sofort und bestimmt, der mate— 
teriellen Gewalt könne es gelingen, das Concil zu sprengen, niemals 
aber werde er der Schwäche sich schuldig machen, durch diese Ver— 
tagung es moralisch zu tödten. 
20. „ Noch bevor das Concil auch nur Einen Beschluß gefaßt hat, und 
um der Opposition von vorneherein die Spitze abzubrechen, erläßt 
der Papst, wiederum aus eigener Machtvollkommenheit, eine neue 
Geschäftsordnung, welche das für Concilien bisher beobachtete Prin- 
cip der Einstimmigkeit beseitigt und das System der Mehrheits- 
beschlüsse auch für Glaubenssachen, ganz wie bei den welltlichen 
Parlamenten, einführt. Den Vorlagen der päpstlichen Curie ist 
dadurch die Annahme zum voraus gesichert, das Schicksal der Mi- 
norität besiegelk. · 
Döllinger, der gelehrteste und geistvollste Gegner der Infallibilitätspartei 
in Deutschland, unterwirft diese revidirte Geschäftsordnung einer einläßlichen 
Kritik von kirchlichem Standpunkte aus, wobei er Eingangs bemerkt: „Die 
neue Geschäftsordnung, welche dem Concil durch die fünf Cardinallegaten auf- 
erlegt worden, ist völlig verschieden von Allem, was sonst auf Conecilien ge- 
bräuchlich war, und zugleich maßgebend und entscheidend für den fernern Ver- 
lauf dieser Versammlung und für die zahlreichen Decrete, welche durch sie 
zu Stande gebracht werden sollen. Sie verdient daher die sorgfältigste Be- 
achtung. Zur geschichtlichen Orientirung mag nur in der Kürze erwähnt 
werden, daß für die allgemeinen Concilien der alten Kirche im ersten Jahr- 
tausend eine bestimmte Geschäftsordnung nicht existirte. Nur für römische und 
spanische Provinzialconcilien gab es ein liturgisches Ceremoniell. Alles wurde 
in voller Versammlung vorgetragen; jeder Bischof konnte Anträge stellen, 
welche er wollte, und die Präsidenten, die weltlichen sowohl, welche die Kaiser 
sandten, als die geistlichen, sorgten für Ordnung und leiteten die Verhand- 
lungen in einfachster Weise. Die großen Concilien zu Constanz und Basel 
machten sich eine eigene Ordnung, da die Theilung und Abstimmung nach 
Nationen eingeführt wurde. In Trient wurde diese Einrichtung wieder ver- 
lassen, aber die Legaten, welche präsidirten, vereinbarten die Geschäftsordnung 
mit den Bischöfen, der Cardinal de Monte ließ darüber abstimmen, und alle 
genehmigten sie. Von keiner Seite erfolgte ein Widerspruch. So ist denn 
die heutige römische Synode die erste in der Geschichte der Kirche, in welcher 
den versammelten Vätern ohne jede Theilnahme von ihrer Seite die Procedur 
vorgeschrieben worden ist. Das erste Regolamento erwies sich so hemmend 
und unpraktisch, daß wiederholte Gesuche um Abänderung und Gestattung 
freierer Bewegung von verschiedenen Fractionen des Episcopats an den Papst 
gerichtet wurden. Dies war vergeblich; aber nach dritthalb Monaten fanden 
die fünf Legaten endlich selber, daß, wenn das Concil nicht ins Stocken ge- 
rathen solle, eine Aenderung und Ergänzung dringend nothwendig sei. Auf 
die Petitionen der Bischöfe ist indeß in der neuen Einrichtung keine Rücksicht 
genommen worden. Zwei Züge treten darin vor Allem hervor. Einmal 
ist alle Macht und aller Einfluß auf den Gang des Concils in die Hände 
der präsidirenden Legaten und der Deputationen gelegt, so daß das Con- 
cil selbst ihnen gegenüber machtlos und willenlos erscheint. 
Sodann sollen die wichtigsten Fragen des Glaubens und der Lehre durch ein- 
sache Mehrheit der Kopfzahl, durch Aufstehen und Sitzenbleiben, entschieden 
werden." Der Schluß lautet: „Alle Theologen machen es zur Bedingung
	        
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