Full text: Europäischer Geschichtskalender. Elfter Jahrgang. 1870. (11)

446 Schweiz. 
— Mai. (Neuenburg). Der Staatsrath beschließt beim Gr. Rathe 
auf Trennung zwischen Staat und Kirche anzutragen. 
2. Juni. Der Vundesrath veröffentlicht seine Vorschläge an beide Räthe 
bez. Revision der Bundesverfassung. Dieselben nehmen von einer 
Einführung des Referendums, oder auch nur des Veto in die Bun- 
desverfassung völlig Umgang; von einer Aenderung der Grundlagen 
des Bundes ist in denselben überhaupt keine Rede. Dagegen wird 
zu freier Entwickelung des Bundes und des einzelnen Vürgers man- 
ches Werthvolle geboten: 
I. Militärwesen. Art. 19. Aus den Contingenten der Kantone wird 
das Bundesheer gebildet. Diese Contingente umfassen die gesammte nach der 
eidgenössischen Gesetzgebung wehrpflichtige Mannschaft. In Zeiten der Gefahr 
kann der Bund auch über die nicht zum Bundesheer gehörende Mannschaft 
der Kantone, sowie über die übrigen Streitmittel derselben verfügen. Die 
Kantone verfügen über ihre Wehrkraft, soweit sie nicht durch verfassungsmäßige 
und gesetzliche Anordnungen beschränkt sind. II. Schutz der Waldungen. 
Art. 21 a. Der Bund ist befugt, gesetzliche Bestimmungen zu erlassen zur 
Erhaltung oder Wiederherstellung der Gebirgswaldungen in den Wassergebie- 
ten der Flüsse und Wildbäche, deren Eindämmung und Verbauung unter 
Beihülse der Eidgenossenschaft stattgefunden hat oder stattfinden wird. III. Freier 
Verkehr. Art. 29. Die Freiheit des Handels und des Verkehrs, sowie das 
Necht freier Berufs= und Gewerbe-Ausübung ist jedem Schweizerbürger im 
ganzen Umfange der Eidgenossenschaft gewährleistet. Vorbehalten sind: a) das 
Salz= und Pulverregal, die eidgenössischen Zölle und die vom. Bund aner- 
kannten Gebühren (Art. 24 und 31), die Consumgebühren von Wein und 
andern geistigen Getränken (Art. 32). b) Sanitätspolizeiliche Maßregeln 
gegen Epidemien und Viehseuchen. c) Verfügungen der Kantone über Aus- 
übung von Handel und Gewerbe, Über Besteuerung des Gewerbebetriebes und 
über die Benützung der Straßen. Diese Verfügungen dürfen den Grundsatz 
der Handels= und Gewerbefreiheit selbst nicht beeinträchtigen und sollen die 
Schweizerbürger anderer Kantone den eigenen Kantonsbürgern gleich behan- 
deln. d) Bundesgesetzliche Vorschriften über Erwerbung von Patenten für 
die Ausübung wissenschaftlicher Berufsarten. Den Kantonen bleibt freigestellt, 
zu bestimmen, ob für die Ausübung einer solchen Berufsart der Besitz eines 
Patents erforderlich sei. IV. Freie Niederlassung und Rechtsstel- 
lung der Niedergelassenen. Art. 41. Der Bund gewährleistet allen 
Schweizern das Recht der freien Niederlassung im ganzen Umfang der Eid- 
genossenschaft nach folgenden nähern Bestimmungen: 1. Keinem Schweizer 
kann die Niederlassung in irgend einem Kanton verweigert werden, wenn er 
folgende Ausweisschriften besitzt: a) einen Heimathschein, oder eine andere 
gleichbedeutende Ausweisschrift; b) eine Bescheinigung, daß er nicht durch ein 
gerichtliches Strafurtheil seine bürgerlichen Nechte und Ehren verloren habe. 
4. Der Niedergelassene genießt alle Rechte der Bürger des Kantons, in welchem 
er sich niedergelassen hat, mit Ausnahme des Mitantheils an Gemeinde= und 
Corporationsgütern. In Betreff des Stimmrechts in Gemeindeangelegenheiten 
ist er dem niedergelassenen Kantonsbürger gleichzustellen. Gänzlicher Ausschluß 
aller Niedergelassenen vom Stimmrecht in Gemeindeangelegenheiten ist jedoch 
unzulässig. 6. Der Niedergelassene kann aus dem Kanton, in welchem er 
niedergelassen ist, weggewiesen werden durch gerichtliches Urtheil, oder wenn 
er durch Verarmung zur Last fällt. 7. Der Bundesgesetzgebung wird vor- 
behalten, zu bestimmen, ob die Gesetze des Heimaths-, oder diejenigen des 
Niederlassungskantons für die Besteuerung, sowie für die Regelung der
	        
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