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Mußland.
einer Unvollständigkeit in seiner Darlegung vorgeschriebene Ordnung der Er-
läuterung und Ergänzung dieselbe bleibt, wie sie bisher bestanden hat.““ Im
Widerspruch mit dieser Rechtsanerkennung wird in Folge des Senats-Ukases
vom 18. Sept. 1855, der Art. 2 in der Einleitung zum Provinzialrecht von
der Regierung in der Art aufgefaßt, daß in Grundlage des Art. 75 des
Reichsgesetzes Bd. I Thl. 1 alle für das Reich erlassenen Gesetze auch als
für Livland giltig angesehen werden sollen, wenn nicht eine Palaten-
(Oberbehörden) Conferenz sich einstimmig gegen die Anwendbarkeit eines solchen
Gesetzes ausgesprochen und dieser Ausspruch beim dirigirenden Senat Bestäti-
gung gefunden. Hiedurch ist nicht allein das formelle Recht der ständischen
Mitwirkung verletzt, sondern auch der localen Gesetzentwicklung der normale
Boden entzogen.“ Hier folgt die Bitte aus den Händen dreier dazu Delegir-
ter, eine ausführlich motivirende Denkschrift entgegennehmen zu wollen. —
Darauf fährt die Adresse fort: „Kaiserliche Majestät! Schwer hat die livlän-
dische Ritterschaft mit sich gekämpft, und ist ernstlich mit sich zu Rathe gegan-
gen, bevor sie sich entschloß, den gezeichneten Stand der Rechtslage des Landes
zu Ew. kais. Maj. Kenntniß zu bringen. Sie konnte nicht anders, wollte sie
noch den Anspruch wahren, auf die huldvolle Anerkennung, die Ew. keaiserl.
Maj. der Loyalität und Verfassungstreue der livländischen Ritterschaft bisher
zu zollen geruht. Die Verfassung ist es und die Treue, mit welcher Herrscher
und Beherrschte zu derselben standen, die eine so erfreuliche Entwicklung er-
möglichten, wie sie in Livland erblühte, und auf welche Herrscher und Be-
herrschte gleich stolz sein können. Ebenso sicher aber wie Verfassungs= und
Gesinnungstreue zu Förderung des sittlichen und materiellen Wohls des Lan-
des unentbehrlich sind, würde die fortgesetzte Verletzung der Verfassung unver-
meidlich den sittlichen und materiellen Verfall des Landes zu Folge haben.
Es ist keineswegs das ausschließliche Streben nach Selbsterhaltung, welches
der livländischen Ritterschaft die Pflicht auferlegt, vor Ew. kais. Maj. frei-
müthig und vertrauensvoll die Thatsachen, wie geschehen, nackt und unge-
schminkt darzustellen; es ist nicht minder die feste Ueberzeugung, daß Livland
in seiner eigenartigen Existenz und Entwicklung dem Gesammtreiche zu wirk-
lichem Nutzen zu gereichen und einen andern unvergleichlich höhern Werth zu
bieten vermag als den der bloßen territorialen Zugehörigkeit.
„Von der tiefsten Bekümmerniß gedrängt und von dem festen Glauben an
Ew. Maj. wahrhaft landesväterliche Huld getragen, wagt die livländische
Ritterschaft die allerunterthänigste Bitte: Ew. kais. Maj. wolle allergnädigst
geruhen, die Landesverfassung Livlands wiederher zustellen.
Gott der Herr, der die Entschließungen der Herrscher und die Schicksale der
Völker leitet, wolle Ewv. Maj. zum Heil des Landes segnen und behüten.“
25. Jan. Eine neue Anleihe von 12 Mill. Pfd. Sterl., angeblich wieder
zur Vervollständigung des Eisenbahnnetzes bestimmt, wird, zu
80 Proz. mit 5 Proz. Interessen aufgelegt, in Westeuropa nicht
bloß gezeichnet, sondern überzeichnet, 6
obgleich die russischen Eisenbahnen zunächst durchaus strategischen Zwecken
zu dienen bestimmt sind, und keine einzige derselben — mit Ausnahme der
Spielbahn von St. Petersburg nach Zarskoje-Selo — auch nur ihre Betriebs-
kosten bezahlt.
11. März. (Ostseeprovinzen). Der esthländische Landtag richtet
gleich dem livländischen seine petition of rights an den Kaiser,
worin er gleichfalls um den keiserlichen Schutz für die schwer
bedrohten Provinzial= und Nationalrechte der baltischen Provinzen
bittet: