Das vatitanische Contil. 495
die Art, wie dem Gewissen der Väter Gewalt angethan ward, konnte
Niemanden überraschen, der in den bisherigen Kundgebungen der päpst-
lichen Politik nicht flüchtige Anwandlungen hierarchischer Despotenlaune,
sondern die nothwendigen Aeußerungen eines wohlüberlegten, planmäßigen
Systems erkannt; eines Systems, das, die Grundvoraussetzung einmal
zugegeben, keinen Widerspruch, keinen Zweifel, kein Meinungsopfer, keinen
Compromiß mehr kennt und das, nicht etwa von einzelnen besonders ein-
flußreichen Rathgebern der Curie, sondern von dem Papste selber seit
seiner Rückkehr von Gaöta mit der zähen Ausdauer und der unbeugsamen
Energie eines wirklichen Fanatikers verfolgt wird. Dem Deutschen ist
solche Verbindung einer religiösen Mystik, die dem 13. Jahrhundert zu
entstammen scheint, mit der verschlagenen Weltklugheit eines Diplomaten
vom modernsten Schlage ein Räthsel, zu dem ihm jeder Schlüssel fehlt.
Bei den RNomanen findet sich diese Verbindung häufig genug. Papst
Pius IX. ist eine ähnlich organisirte Natur, wie der Graf Cavour eine
gewesen ist; dieselbe Vereinigung von glühendem, ja schwindelerregendem
Idealismus in der Anlage des Planes mit nüchtern praktischem Realis-=
mus in der Ausführung zeigt er in der Kirchenpolitik, die jener in der
nationalen an den Tag gelegt. Als G. M. Mastai Ferretti im Juni
1846 zum Papste gewählt ward, begrüßten ihn die Römer mit frohen
Hoffnungen, obgleich sie einstweilen nicht viel mehr von ihm wußten, als
daß er „weder ein Fremder noch ein Mönch“ sei und aus einer Familie
stamme, in der ein aufgeschlossener, freigesinnter Patriotismus zu Hause
war. Als nun aber sein Regiment begann mit einer hochherzigen Am-
nestie, die die Kerker Gregors XVI. öffnete und den Verbannten die Hei-
mat wieder gab, als unter ihm die Priester anfingen, das Bündniß des
Clerus mit der Demokratie und allen vorwärts drängenden Elementen der
Zeit offen zu predigen, als die Curie den Anlauf machte zur Gründung
eines italienischen Zollvereins und zur Reform der geistlichen Verwaltung,
als der Papst es war, der in seinem Proteste gegen die widerrechtliche
Besetzung Ferrara's den Fürsten Metternich erinnerte an eine Idee, auf
die noch kein päpstlicher Protest gegründet worden war, an die Idee der
italienischen Nation, deren Rechte älter und heiliger wären, als die ge-
schriebener Verträge, als er gar durch Einberufung einer Staatsconsulta
Miene machte zur Umwandlung des päpstlichen Absolutismus in ein con-
stitutionelles Fürstenthum — da schienen Gioberti's verwegenste Träume
vom nationalen Reformberuf der Kirche erfüllt, die Genesung dieses Volks