Das vatitanische Concil. 507
Rector der Prager Universität eine Kundgebung zu Gunsten desselben ver-
anlaßt hat, und der nun öffentlich vor aller Welt bekennt: „Ich habe in
einer tiefen Täuschung gelebt.“ Es ist dies der Prager Professor des
cCanenischen und deutschen Rechts Joh. Friedr. Ritter von Schulte, der
in einer jüngst erschienenen Schrift: Die Macht der römischen Päpste
über Fürsten, Länder, Völker, Individuen nach ihren Lehren und Hand-
lungen zur Würdigung ihrer Unfehlbarkeit beleuchtet (Prag 1871) die
nothwendigen Folgen der Bulle vom 18. Juli 1870 mit genauester Sach-
kenntniß und schärfster juristischer Logik entwickelt. Von zwei Voraus-
setzungen geht er aus. Erstens: Durch die Erklärung vom 18. Juli 1870
ist sämmtlichen Entscheidungen, die frühere Päpste und Concilien
in den bedeutsamsten Fragen getroffen haben, die Unfehlbarkeit zuge-
sprochen. Gestützt auf den Wortkaut eines päpstl. Breve vom 10. Juni
1854 verdammt Nr. 23 des Syllabus den Satz: „Die römischen Päpste
und öcumenischen Concilien haben die Grenzen ihrer Macht überschritten,
haben die Rechte der Fürsten sich angemaßt und haben auch in Entschei-
dung von Sachen des Glaubens und der Sitten geirrt", stellt mithin als
päpstliche Wahrheit den auf: „Die römischen Päpste haben die Grenzen
ihrer Gewalt nicht überschritten, haben die Rechte der Fürsten nicht
usurpirt, in Festsetzung der Glaubens= und Sittenlehren nicht geirrt.“
Zweitens: Im Bereiche dessen, was die päpstliche Weltauffassung
unter dem Begriffe „Sitten“ versteht, ist das gesammte Leben der
Staaten und Völker, der Körperschaften und Individuen
umfaßt.
Dies geht u. A. hervor aus dem Compendium der theologischen
Moral des Jesuiten Gury, nach dem der größte Theil des katholischen
Clerus amtlich unterrichtet wird; in demselben ist so ziemlich das gesammte
öffentliche und private Rechtsleben der Menschheit behandelt und, was
in dieser Lehre fehlt, wird in der Praxis der päpstlichen Entscheidungen
durch Bullen, Breven, Encheliken, Allocutionen schrankenlos in Anspruch
genommen.
Hienach fließen aus der auf alle früheren Jahrhunderte zurückwir-
kenden päpstlichen Unfehlbarkeit für das Verhältniß der Kirche zum Staat
folgende Sätze, die der Katholik glauben muß, wenn er nicht dem Banne
verfallen will:
1) Die weltliche Gewalt ist vom Bösen und muß deshalb unter
dem Papste stehen.