Full text: Europäischer Geschichtskalender. Elfter Jahrgang. 1870. (11)

526 AUebersicht der Ereignisse des Vahres 1870. 
weil es den „Hintergedanken“ nicht abschwören wollte, es künftig ein- 
mal zu beleidigen. Ein Gentleman von tadellosem Nufe wird zum Tode 
verurtheilt, weil er zes unter seiner Würde findet, sich durch einen schrift- 
lichen Revers gegen einen „Hintergedanken“ zu verwahren, der- ihn viel- 
leicht doch einmal zum Straßenraub oder zur Nothzücht verführen könntel 
Das war die Logik dieses kaiserlichen Aktenstücks mit der unsterblichen 
Unterschrift: Le Sourd. Es ist zweifellos, daß dies Regiment, in dem 
seit dem G. Juli Alles außer Rand und Band gekommen war, noch im 
letzten Augenblick sehr peinlich in seinen Entschlüssen geschwankt, folglich 
Momente genug gehabt hat, wo eine entschiedene Erklärung von' Seiten 
einer neutralen Großmacht wie England vielleicht Alles gewendet haben 
würde. Solche Erklärungen aber sind von keiner Seite erfolgt. Graf 
Beust, der schon am 9. Juli sich bem Lord Bloomfield gegenüber genau 
so äußerte, wie Einer, der ganz bestimmt wußte, daß Frankreich den Krieg 
wolle, hütete sich vor einem Schrikte, der auch nur die leiseste Mißbilli 
gung hätte ahnen lassen; ihm schien im Hintergrunde dieses ungeheuren 
Kampfs die Nolle zu winken, die Metternich 1813 gespielt. Die englische 
Diplomatie aber leistete Unglaubliches. Lord Lyons in Paris hatte von- 
Gramont die bestimmte Zusicherung, ein Rücktritt des Prinzen werde den 
ganzen Streit aus der Welt schaffen. Als der Rücktritt, für den England 
eifrig mitgearbeitet, dann auf einmal als gleichgiltiger Zwischenfall bezeich- 
net ward, sagte Lyons zu Gramont: Wir haben Ursache, „uns enttäuscht, 
um nicht zu sagen, verletzt zu fühlen“, aber darum keine Feindschaft! 
Das war die Diplomatie, die sich erfrechte, dem deutschen Sieger beim 
Friedensschluß eine angeblich neutrale, in Wahrheit feindselige Vermittlung 
aufdrängen zu wollen. In Paris aber, versichert der Marquis de Gri- 
court, war noch am Morgen des 19. Juli, also in demselben Augenblick, 
da der norddeutsche Reichstag die französische Kriegserklärung mit minuten- 
langem Beifall begrüßte, vom Ministerrath unter Vorsitz des Kaisers ein- 
stimmig eine Erklärung beschlossen worden, „welche den Frieden ermöglicht 
haben würde." Sie ward unterdrückt, weil noch am selben Abend Mini- 
ster Ollivier in St. Cloud versicherte, „wenn solch ein Aktenstück in die 
Oeffentlichkeit gelange, so würde man die Minister auspfeisen und ihre 
Wagen mit Schmutz bewerfen“. Um solch gräßliches Unglück zu verhüten, 
blieb es beim Krieg. Dieser Zug hat noch gefehlt, um die Abenteurer- 
wirthschaft des Kaiserreichs zu zeichnen. 
Die Haltung des norddeutschen Bundes, seiner Regierungen und
	        
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