Full text: Europäischer Geschichtskalender. Elfter Jahrgang. 1870. (11)

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Preußen und der norddeutsche Vund. 
steht. Und wollten sie sich dennoch mit dem Auslande beschäftigen, so liegt 
ihnen ja in Rom Stoff genug vor. Aber ich zweifle nicht daran, daß Rück- 
sichten auf das Ausland es nicht sind, welche unsere Politik bestimmen. Sie 
kennen ja jene Erklärung, daß ein Appell an die Furcht in deutschen Herzen 
kein Echo findet. Wozu ist der Artikel wegen der Aufnahme süddeutscher 
Staaten in den Bund in die Bundesverfassung aufgenommen worden, wenn 
nicht Gebrauch davon gemacht werden soll! Baden will in den Bund ein- 
treten, wir wissen es ganz bestimmt. Darum möchte ich denn wissen, warum 
das Präsidium auf den Wunsch Badens nicht eingehen will. Ich wünsche 
dringend, daß dieses Räthsel sich heute löse. Wenn ich nicht einen direkt die 
Aufnahme Badens verlangenden Antrag gestellt habe, so ist dies aus Achtung 
vor dem stillschweigenden Votum des Hauses geschehen, wie es in seinen Mo- 
tiven zur Ablehnung der Adreßdebatte gelegen hat. v. Blankenburg (ceon- 
servativ): In meinem ganzen parlamentarischen Leben war ich noch nie so für 
eine Adresse gestimmt, wie nach dieser Thronrede des Schirmherrn des nord- 
deutschen Bundes, die jedes deutsche Herz erwärmen mußte. In einer Zeit, 
wo man so undeutsche Reden in Deutschland hört, da hätten wir nicht unsere 
deutsche Stimme ertönen lassen sollen? (Bravol) Aber wir konnten uns zu 
einem gemeinsamen Ausdruck diesen Bestrebungen gegenüber nicht vereinigen, 
das Parteiwesen ließ es nicht zu. (Oh! Ohl) Redner liest einen Artikel aus 
dem „Bayerischen Vaterland“ vom 20. d. M. vor, welcher mit den Worten 
schließt: „Der ist unser Freund, der uns von den preußischen Vampyren, von 
dem preußischen Tyrannen befreit.“ (Pfui! Pfuil) Vielleicht hat man in 
Bayern so sprechen können von 1806 bis 1812; daß aber ein bayerisches Blatt 
so etwas noch im Jahre 1870 sagen kann, das verletzt jedes deutsche Gemüth. 
(Bravol) Diese patriotische Partei irrt sich; Preußen bis an den Main ist 
Frankreich gegenüber viel sicherer, als mit den bayerischen Bajonetten. (Sehr 
gut!) Auch bietet uns Bayern im Zollverein nichts; wenn wir dennoch seit 
Jahren mit unserem Schweiß die bayerischen Taschen füllen, so geschieht es 
nur, weil uns das nationale Moment über Alles geht. (Bravo!l) Kommt 
diese patriotische Partei zum Ziele, so holt Bayern seine Vorschriften nur noch 
in Rom — das ist das Ende. (Bravol) Mit dem Antrag Lasker's kann 
ich mich jedoch nicht einverslanden erklären; es mag sein, daß dieser Antrag 
den Nationalliberalen in Preußen und Karlsruhe am besten gefällt; aber prak- 
tischer thun wir, wenn wir den zweiten Absatz des Antrags weglassen und 
statt desselben dem ersten Absatz hinzufügen: „und erkennt in diesen Bestreb- 
ungen den lebhaften Ausdruck der nationalen Zusammengehörigkeit“. Dies 
beantrage ich hiermit. Warten wir, bis das Präsidium es für opportun hält, 
auf Grund des Art. 79 der Bundesverfassung vorzugehen. Hr. Lasker sagt, 
es sei von außen nichts zu fürchten. Weiß er das so gewiß? Ist der Antrag 
ernst gemeint, so müssen Sie auf Grund desselben auch die Führung über- 
nehmen können. Können Sie das? Nein! Oder ist der Antrag etwa nur 
ein Auftrag Ihrer Vollmachtgeber? (Oh" Ohl) Ueberall wird ungeduldig ge- 
murrt: dem Einen geht die nationale Bewegung zu rasch, dem Andern zu 
langsam. Ich aber weiß, daß, wer sich dem Bundeskanzler und dem Bundes- 
rathe entgegenstellt, nicht nur den Bund, sondern auch sein engeres Vaterland 
schädigt, mag dieses engere Vaterland auch Preußen sein. Rückwärts können 
wir nach 1866 nicht mehr, also vorwärts! (Beifall.) Graf Bismarck: Der 
Umstand, daß der Antrag von Namen unterschrieben ist, deren Träger mir ihr 
Vertrauen häufig ausgesprochen, mitunter auch bewiesen haben, nöthigt mich 
zu der öffentlichen Erklärung, daß ich diesem Antrage vollständig fremd bin, 
daß er mir Überraschend und im höchsten Grade unerwünscht gekommen ist, 
daß ich Anfangs geneigt war, ihn für einen politischen Fehler zu halten, und 
daß ich nach der Rede Lasker's ihn noch dafür halten muß. Anfangs glaubte 
ich, daß der Accent auf die Worte „möglichst ungesäumt" zu legen sei. Dies 
richtig verstanden, hätten wir unter Umständen sehr bald zu einer Einigung
	        
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