Full text: Europäischer Geschichtskalender. Elfter Jahrgang. 1870. (11)

Belgien. 555 
Ganz anders war das neutrale Bel gien bei diesem Kriege bethei- 
ligt. Gerade vier Wochen vor Ausbruch desselben war dort ein in diesem 
Augenblick doppelt bedeutungsvoller Ministerwechsel eingekreten. Das frei- 
sinnige Ministerium Freère-Orban, das im Jahre vorher mit ebensoviel 
Geschick als Festigkeit dem französischen Gelüste, sich der belgischen Eisen- 
bahnen zu bemächtigen, entgegengetreten war, hatte am 17. Juni in Folge 
des Wahlsiegs der Clerikalen seine Entlassung eingereicht und der Baron 
d'Anethan hatte eben ein neues, clerikales Ministerium gebildet, als Europa 
durch die Erklärungen des Herzogs von Gramont am 6. Juli in Bewe- 
gung kam. Was Belgien bei dem Zerwürfniß, das sich nun rasch in 
seiner wahren Natur entschleierte, zu verlieren habe, das offenbarten #die Ent- 
hüllungen der Times über Frankreichs geheime Einverleibungspläne; die 
das berühmte Rundschreiben des Grafen Bismarck vom 29. Juli über 
allen Zweifel hinaus erhärteke. Centnerschwer fielen die Worte der Depesche 
ins Gewicht: „Zur Zeit der Vorbereitung der belgischen Eisenbahnhändel 
im März 1868 wurde mir von einer hochstehenden Person, welche den 
früheren Unterhandlungen nicht fremd war, mit Bezugnahme auf letztere 
angedeutet, daß für den Fall einer französischen Occupation Belgiens 
nous trouverions bien notre Belgique ailleurs. Gleicher' Weise wurde 
mir bei früheren Gelegenheiten zu erwägen gegeben, daß Frankreich bei 
einer Lösung der orientalischen Frage seine Betheiligung nicht im fernen 
Osten, sondern nur unmittelbar an seiner Grenze suchen#n#ekönne. Ich 
habe den Eindruck, daß nur die definitive Ueberzeugung, es sei mit uns 
keine Grenzerweiterung Frankreichs zu erreichen, den Kaiser zu dem Ent- 
schlusse geführt hat, eine solche gegen uns zu erstreben. Ich habe sogar 
Grund zu glauben, daß wenn die fragliche Veröffentlichung unterblieben 
wäre, nach Vollendung der französischen und unserer Rüstungen uns von 
Frankreich das Anerbieten gemacht sein würde, gemeinsam an der Spitze 
einer Million gerüsteter Streiter dem bisher unbewaffneten Europa gegen- 
über die uns früher gemachten Vorschläge durchzuführen, d. h. vor oder 
nach der ersten Schlacht Frieden zu schließen auf Grund der Benedetti- 
schen Vorschläge, auf Kosten Belgiens." 
Seit diesen Julitagen wußte man in Belgien, um was es sich in 
diesem Kiege handle. Es war nun auch für Jeden mit Händen zu grei- 
fen, daß der Sieg Frankreichs den Untergang Belgiens bedeute, während 
Preußen, wie es ilm Frieden mit unbestechlicher Vertragstreue über seiner 
Neutralität gewacht, mit derselben Fahne, unter der es die Ehre Deutsch-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.