Full text: Europäischer Geschichtskalender. Elfter Jahrgang. 1870. (11)

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Preußen und der norddeutsche Pund. 
Im Gegentheil, ich würde den Fall ganz anders beurtheilen, wenn z. B. Bayern 
den Antrag auf Aufnahme stellte. Aber das Volk, welches diejenigen Zeitun- 
gen liest, die die Nede des Vorredners vollständig wiedergeben, die meinige 
aber nur verkürzt, wird den Irrthum glauben. Ich habe nur gesagt: rebus 
Ssic stantibus, wie sie jetzt in diesem Augenblicke liegen, gehe es nicht anders. 
Vor einigen Jahren, als von Südhessen die Rede war, habe ich erklärt, daß 
wir zu seiner Aufnahme in den Bund gerne bereit seien, wenn die großher- 
zoglich hessische Regierung den Antrag dazu stelle. Ich will also das gerade 
Gegentheil von dem, was der Vorredner mir unterschiebt. Ein solches Ver- 
fahren, m. H., ist keine Unterstützung meiner Politik. Wenn Sie es besser 
verstehen, als ich, so müssen Sie auch hierher kommen und sich auf diese 
Stühle (des Bundeskanzlers und des Bundesraths) setzen, und ich will dann 
auf Ihre Plätze dort hintreten, um auf Grund meiner zwanzigjährigen Er- 
fahrung meine Kritik zu üben. (Heiterkeit.) Löwe ist für den ersten Theil 
des Antrages, nicht aber für den zweiten. Am liebsten aber wäre es ihm, 
wenn der Antragsteller seinen Antrag ganz zurückzöge. Auf die innere Po- 
litik komme es vor Allem an; hier solle man also zunächst das Nöthige thun. 
Die bayerischen Patrioten, gegen welche Hr. v. Blanckenburg sich mit Recht 
so entschieden gewendet habe, seien noch bis vor Kurzem die guten Freunde 
der preußischen Conservativen gewesen. Der Ultramontanismus in München 
sei kaum schlimmer, als der Kryptokatholizismus in Berlin. Redner wünscht 
schließlich eine nähere Erklärung des Bundeskanzlers über seine Auffassung 
bezüglich der Interpretation der Bündnißverträge. Graf Bismarck: In 
militärischer Beziehung seien die Dinge kaum anders zu betrachten, als ob 
Baden zum Bund gehöre. Er sei fest davon überzeugt, daß man den süd- 
deutschen Staaten vertrauen könne, und daß die Feinde des Nordens und des 
Südens dieselben seien. Kantak (Pole) spricht vom polnischen Standpunkt 
gegen die Resolution. Er und seine politischen Freunde würden sich der Ab- 
stimmung enthalten. Frhr. Nordeck zur Rabenau (Abg. aus Oberhessen) 
bemerkt bezüglich Südhessens, daß es da nicht bloß auf die Regierung, sondern 
auch auf das Volk und seine Vertretung ankomme, und was diese letztere be- 
treffe, so habe sie sich für den Eintritt in den norddeutschen Bund entschieden 
ausgesprochen. Die erste Kammer sei allerdings dagegen gewesen, aber die 
betreffenden Herren hätten wohl nach den speciellen Wünschen des Hrn. v. Dal- 
wigk gestimmt. Auf das Ausland dürften wir nicht sehen; in unserem eigenen 
Hause seien wir Herr, und die Nation werde im Nothfalle ihr gutes Recht 
mit Gut und Blut zu vertheidigen wissen. Also nur vorwärts; seien wir 
einmal in Hessen, so würden wir auch bald nach Baden gelangen! (Bravol) 
Großh. hessischer Bevollmächtigter zum Bundesrath, geh. Leg.-Rath Hof- 
mann: Ich wollte nur die Mitglieder der ersten hessischen Kammer gegen 
die Unterstellung verwahren, als ob sie sich in ihrer Abstimmung von irgend 
einer Seite beeinflussen ließen. v. Kardorff beantragt, den zweiten Absatz 
der Resolution also zu fassen: „Der Reichstag erkennt mit freudiger Genug- 
thuung in diesen Bestrebungen den Fortschritt zur staatlichen Einigung des 
gesammten Deutschlands.“ Damit ist die Discussion geschlossen. Lasker er- 
klärt hierauf, daß er seinen Antrag, nachdem derselbe durch die stattgehabte 
Debatte seinen Zweck vollkommen erfüllt habe, im Einverständnisse mit seinen 
politischen Freunden zurückziehe, und lehnt auch die vom Grafen Bismarck 
„jedenfalls nur im Scherz“ geäußerte Meinung ab, daß der Antrag im Auf- 
trage Badens gestellt worden sei. 
24. Febr. (Sachsen). Schluß des Landtags. Das über die in den 
Beschlüssen beider Kammern vielfach bestehenden Differenzen einge- 
tretene Ausgleichsverfahren ist meist ohne Erfolg geblieben, so daß 
nur wenig ständische d. h. von beiden Kammern genehmigte Anträge 
an die Regierung gelangen.
	        
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