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Preußen und der norddeutsche Pund.
Gesetzgebung und Besteuerung ist auf das geringste Maß beschränkt, ihre
Thätigkeit durch eine unerträgliche Geschäftsordnung eingeengt, das Wahlrecht
des Volkes wie fast nirgends anderswo verkümmert"“, die Preßfreiheit und das
Versammlungsrecht durch veraltete Bestimmungen beschränkt. Auch in der
Femeindeordnung sei wie in der ganzen politischen Gesetzgebung der Geist der
staatlichen Controlirung und polizeilichen Beaufsichtigung unverkennbar thätig
gewesen. Ferner bedauert die Adresse, daß sich die Regierung auch auf kirch-
lichem Gebiet den auf Einführung der Synodalverfassung gerichteten Vestre-
bungen gegenüber theilnahmlos verhalte. Zum Schlusse gibt die Mdresse
die Erklärung ab, daß die Opferwilligkeit des Volkes nur gewonnen werden
könne durch eine vollständige Aenderung des seitherigen Regierungssystems.
In der Debatte führen die Wortführer der Opposition, die Abgeord-
neten Sorger und Baumbach, die in der Adresse enthaltenen Beschwerden
und Klagen weiter aus. Minister v. Bertrab bekämpft in längerer Rede die
Behauptung, daß die Hauptursache der finanziellen und wirthschaftlichen Miß-
stände darin gelegen sei, daß das Grundgesetz von 1853 das ganze Staatsgut
für fürstliches Fideicommißgut erklärt habe. Der Minister sucht nachzuweisen,
daß keineswegs Theile des Landesvermögens mit dem Fideicommißvermögen
vereinigt worden seien. Er verwahrt sich ferner gegen das Bild, welches in
der Debalte von dem polizeilich mißhandelten Polizeistaat Nudolstadt entworfen
worden seien. Wenn auch nicht aus der Adresse, so gehe doch aus der münd-
lichen Debatte die Absicht der Wortführer des Landtags hervor, die Nicht-
existenzfähigkeit des Landes auszusprechen. Abg. Sorger anerkennt die Ver-
dienste des Ministers um die Herbeiführung geordneter Verhältnisse, hält aber
daran fest, daß die Verwaltung des Hrn. v. Bertrab von polizeistaatlichen
Tendenzen beeinflußt sei.
2. März. (Nordd. Bund). Der Reichstag geht nach kurzer Debatte
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über den Antrag Schulze's auf Gewährung von Diäten zur Tages-
ordnung über.
„ (Nordd. Bund). Reichstag: Sitzung der Cemmission für
den Gesetzentwurf bez. Unterstützungswohnsitz. Die anwesenden
Mitglieder des Bundesraths bekämpfen einander selbst sehr lebhaft.
„ (Mecklenburg). Der Landtag beschließt, die beiden Landes-
herrn zu ersuchen, sie möchten sich gegen die Einführung eincs ober-
sten Gerichtshofs im norddeutschen Vunde als einen Eingriff in die
Rechte der Einzelstaaten erklären.
„ (Nordd. Bund). Der Bundesrath genehmigt einstimmig den
Antrag des Präsidiums auf Ausarbeitung einer für das ganze Bun-
desgebiet giltigen Concursordnung. Mecklenburg und Sachsen machen
indeß ihre Vorbehalte.
„ (Nordd. Bund). Der Reichstag genehmigt den Gesetzentwurf,
der die Ausdehnung der Maß= und Gewichtsordnung auch auf die
süddeutschen Staaten ermöglicht.
„ (Preußen). Der Cultusminister v. Mühler gibt in dem Streite
mit Breslau wegen Errichtung eines confessionslosen Gymnasiums,
in dem die Stadtbehörden fest bleiben, im wesentlichen schließlich
doch nach.
„ (Sachsen) besetzt, nach einigem Besinnen, den erledigten Ge-
sandtschaftsposten in Wien doch wieder.