Full text: Europäischer Geschichtskalender. Elfter Jahrgang. 1870. (11)

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Preußen und der norddeutsche Pund. 
Gesetzgebung und Besteuerung ist auf das geringste Maß beschränkt, ihre 
Thätigkeit durch eine unerträgliche Geschäftsordnung eingeengt, das Wahlrecht 
des Volkes wie fast nirgends anderswo verkümmert"“, die Preßfreiheit und das 
Versammlungsrecht durch veraltete Bestimmungen beschränkt. Auch in der 
Femeindeordnung sei wie in der ganzen politischen Gesetzgebung der Geist der 
staatlichen Controlirung und polizeilichen Beaufsichtigung unverkennbar thätig 
gewesen. Ferner bedauert die Adresse, daß sich die Regierung auch auf kirch- 
lichem Gebiet den auf Einführung der Synodalverfassung gerichteten Vestre- 
bungen gegenüber theilnahmlos verhalte. Zum Schlusse gibt die Mdresse 
die Erklärung ab, daß die Opferwilligkeit des Volkes nur gewonnen werden 
könne durch eine vollständige Aenderung des seitherigen Regierungssystems. 
In der Debatte führen die Wortführer der Opposition, die Abgeord- 
neten Sorger und Baumbach, die in der Adresse enthaltenen Beschwerden 
und Klagen weiter aus. Minister v. Bertrab bekämpft in längerer Rede die 
Behauptung, daß die Hauptursache der finanziellen und wirthschaftlichen Miß- 
stände darin gelegen sei, daß das Grundgesetz von 1853 das ganze Staatsgut 
für fürstliches Fideicommißgut erklärt habe. Der Minister sucht nachzuweisen, 
daß keineswegs Theile des Landesvermögens mit dem Fideicommißvermögen 
vereinigt worden seien. Er verwahrt sich ferner gegen das Bild, welches in 
der Debalte von dem polizeilich mißhandelten Polizeistaat Nudolstadt entworfen 
worden seien. Wenn auch nicht aus der Adresse, so gehe doch aus der münd- 
lichen Debatte die Absicht der Wortführer des Landtags hervor, die Nicht- 
existenzfähigkeit des Landes auszusprechen. Abg. Sorger anerkennt die Ver- 
dienste des Ministers um die Herbeiführung geordneter Verhältnisse, hält aber 
daran fest, daß die Verwaltung des Hrn. v. Bertrab von polizeistaatlichen 
Tendenzen beeinflußt sei. 
2. März. (Nordd. Bund). Der Reichstag geht nach kurzer Debatte 
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über den Antrag Schulze's auf Gewährung von Diäten zur Tages- 
ordnung über. 
„ (Nordd. Bund). Reichstag: Sitzung der Cemmission für 
den Gesetzentwurf bez. Unterstützungswohnsitz. Die anwesenden 
Mitglieder des Bundesraths bekämpfen einander selbst sehr lebhaft. 
„ (Mecklenburg). Der Landtag beschließt, die beiden Landes- 
herrn zu ersuchen, sie möchten sich gegen die Einführung eincs ober- 
sten Gerichtshofs im norddeutschen Vunde als einen Eingriff in die 
Rechte der Einzelstaaten erklären. 
„ (Nordd. Bund). Der Bundesrath genehmigt einstimmig den 
Antrag des Präsidiums auf Ausarbeitung einer für das ganze Bun- 
desgebiet giltigen Concursordnung. Mecklenburg und Sachsen machen 
indeß ihre Vorbehalte. 
„ (Nordd. Bund). Der Reichstag genehmigt den Gesetzentwurf, 
der die Ausdehnung der Maß= und Gewichtsordnung auch auf die 
süddeutschen Staaten ermöglicht. 
„ (Preußen). Der Cultusminister v. Mühler gibt in dem Streite 
mit Breslau wegen Errichtung eines confessionslosen Gymnasiums, 
in dem die Stadtbehörden fest bleiben, im wesentlichen schließlich 
doch nach. 
„ (Sachsen) besetzt, nach einigem Besinnen, den erledigten Ge- 
sandtschaftsposten in Wien doch wieder.
	        
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