88
Preußen und der norddeutsche Pund.
haben, daß ihr der Krieg dennoch entgehen könnte, und beeilte sich, durch ihre
amtlichen Erklärungen vom 15. d. M. die Sache auf ein Feld zu verlegen,
auf dem es keine Vermittlung mehr gibt, und uns und aller Welt zu bewei-
sen, daß keine Nachgiebigkeit, welche innerhalb der Grenzen nationalen Ehr-
gefühls bliebe, ausreichend sein würde, um den Frieden zu erhalten. Da aber
Niemand in Zweifel darüber war und sein konnte, daß wir aufrichtig den
Frieden wollten und wenig Tage zuvor keinen Krieg möglich hielten; da jeder
Vorwand zum Kriege fehlte, und auch der letzte, künstlich und gewaltsam ge-
schaffene Vorwand, wie er ohne unser Zuthun erfunden, so auch von selbst
wieder verschwunden war; da es somit gar keinen Grund zum Kriege gab,
blieb den französischen Ministern, um sich vor dem eigenen, in der Mehrheit
friedlich gesinnten und der Ruhe bedürftigen Volke scheinbar zu rechtfertigen,
nur übrig, durch Entstellung und Erfindung von Thatsachen, deren Unwahr-
heit ihnen actenmäßig bekannt war, den beiden repräsentativen Körperschaften
und durch sie dem Volke einzureden, es sei von Preußen beleidigt worden,
um dadurch die Leidenschaften zu einem Ausbruch aufzustacheln, von dem sie
sich selbst als fortgerissen darstellen konnten. Es ist ein trauriges Geschäft,
die Reihe dieser Unwahrheiten aufzudecken; glücklicher Weise haben die franzö-
sischen Minister diese Aufgabe abgekürzt, indem sie durch die Weigerung, die
von einem Theil der Versammlung geforderte Vorlage der Note oder Depesche
zu gewähren, die Welt darauf vorbereitet haben, zu erfahren, daß dieselbe
gar nicht existire. Dies ist in der That der Fall. Es existirt keine Note
oder Depesche, durch welche die preußische Regierung den Cabinetten Europa's
eine Weigerung, den französischen Botschafter zu empfangen, angezeigt hätte.
Es existirt nichts, als das aller Welt bekannte Zeitungstelegramm, welches
den deutschen Regierungen und einigen unserer Vertreter bei außerdeutschen
Regierungen, nach dem Wortlaute der Zeitungen, mitgetheilt worden ist, um
sie über die Natur der französischen Forderungen und die Unmöglichkeit ihrer
Annahme zu informiren, und welches überdies nichts Verletzendes für Frank-
reich enthält. Der Text desselben folgt hierbei. Weitere Mittheilungen haben
wir über den Incidenzfall an keine Regierung gerichtet. Was aber die That-
sache der Weigerung, den französischen Botschafter zu empfangen, betrifft, so
bin ich, um diese Behauptung in ihr rechtes Licht zu stellen, von Sr. Moj.
dem Könige ermächtigt worden, Euer .. mit dem Ersuchen der Mitthei-
lung an die Regierung, bei der Sie beglaubigt zu sein die Ehre haben, die
beiden anliegenden Actenstücke zu Übersenden (s. 13. Juli). Es wäre unnöthig,
darauf hinzuweisen, daß die Festigkeit der Zurückweisung französischer Anma-
ßung in der Sache zugleich in der Form mit aller rücksichtsvollen Freundlich-
keit umgeben gewesen ist, welche eben so sehr den persönlichen Gewohnheiten
Sr. Maj. des Königs, wie den Grundsätzen internationaler Höflichkeit gegen
die Vertreter fremder Souveräne und Nationen entspricht. In Bezug endlich
auf die Abreise unseres Botschafters bemerke ich nur, wie es dem französischen
Cabinet amtlich bekannt war, daß diese keine Abberufung, sondern ein von
dem Botschafter aus persönlichen Rücksichten erbetener Urlaub war, bei welchem
der letztere die Geschäfte dem ersten Botschaftsrath, der ihn schon öfter vertre-
ten, übergab und dies, wie üblich, anzeigte. Auch die Angabe ist unwahr,
daß Se. Maj. der König mir, dem unterzeichneten Bundeskanzler, von der
Candidatur des Prinzen Leopold Mittheilung gemacht habe. Ich habe nur
gelegentlich durch eine bei den Verhandlungen betheiligte Privatperson vertrau-
liche Kenntniß von dem spanischen Anerbieten erhalten. Wenn hiernach alle
von den französischen Ministern angeführten Gründe für die Unvermeidlichkeit
des Krieges in nichts zerfallen und absolut aus der Luft gegriffen erscheinen,
so bleibt uns leider nur die traurige Nothwendigkeit, die wahren Motive in
den schlechtesten und seit einem halben Jahrhundert von den Völkern und Re-
gierungen der civilisirten Welt gebrandmarkten Traditionen Ludwig's XIV.
und des ersten Kaiserreichs zu suchen, welche eine Partei in Frankreich noch