Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Einunddreißigster Jahrgang. 1915. Zweite Hälfte. (56b)

906 frankriich. (Mai 7.) 
ment und den Ausschüssen geübte Kontrolle sei von größtem Nutzen für 
die Wohlfahrt des Landes. Als Mitglied des Heeresausschusses des Senates 
sei er (Clmenceau) zu glauben berechtigt, daß die Mitglieder der Aus- 
schüsse über die meisten Fragen besser unterrichtet seien als die Mehrzahl 
der Minister. Man müsse hoffen, daß die Minister eine solche Unwissenheit 
nicht dazu benützen wollten, um später die Verantwortung mit der Angabe 
ablehnen zu können, sie hätten nichts gewußt. Wolle man unter solchen 
Umständen trotzdem die Sitzungen des Parlaments verhindern, so komme 
dies einem Staatsstreich gegen Frankreich gleich. 
7. Mai. (Kammer.) Regierungsvorlage betreffend die Er- 
höhung der Ausgabe von Schatzscheinen der Nationalverteidigung 
von 4,5 Milliarden auf 6 Milliarden. Die Vorlage wird ohne 
Widerspruch angenommen. 
Zu der Vorlage führt der Finanzminister Ribot aus: Die Höhe der 
in Frankreich gezeichneten Schatzscheine der Nationalverteidigung beträgt 
augenblicklich 4327 Millionen. Dazu kommen 129 Millionen gewöhnliche 
Schatzscheine und 509 Millionen vom Auslande übernommene Schatzscheine, 
zusammen also 4975 Millionen. Wir beantragen, die ursprünglich angesetzte 
Emissionsgrenze von 4,5 auf 6 Milliarden zu erhöhen. Der Fehlbetrag 
im Monat April war infolge besonderer Umstände höher als sonst: 1500 Mil- 
lionen. Auch die nächsten Monate werden noch besonders viel Geld kosten. 
Man kann die Ausgaben der Nationalverteidigung nicht begrenzen. Nur 
muß man unnütze und unbegründete Ausgaben vermeiden. In England 
schätzt Llond George das englische Defizit auf 21,5 Milliarden. Der Finanz- 
minister erörtert dann die finanziellen Zahlungsverhältnisse dem Auslande 
gegenüber. Wir haben, wie alle Länder, viel im Auslande gekauft. Wir 
bedürfen von dort der Munition, Pferde, Kleidung, Getreide. Es genügt 
aber nicht zu kaufen, man muß auch bezahlen. In gewöhnlichen Zeiten 
ist die Wagschale im allgemeinen zu unsern Gunsten. Im Anfang des 
Krieges noch waren wir Gläubiger gegenüber dem Auslande. Ueberall war 
der Wechselkurs zu unsern Gunsten während der ersten sechs Monate. Heute 
ist die Lage nicht mehr so. Man fordert sofortige Bezahlung. Daher neue 
Schwierigkeiten, besonders in den Vereinigten Staaten, Spanien, Argen- 
tinien und in England. Die Vereinigten Staaten führen monatlich 
für 500 Millionen mehr aus als sonst. Europa macht ihnen gegenüber 
monatlich für 700 bis 800 Millionen Schulden. Wie sie bezahlen? Wir 
haben leider wenig Werte, die wir leicht in dem Handel dafür umsetzen 
können. Darauf bedacht, die Ehrlichkeit der Einkommensteuer zu sichern, 
haben wir gesucht, unsere Werte zu nationalisieren. Das war ein fiska- 
lischer Standpunkt, aber kein finanzpolitischer. Wir erleiden heute die 
Folgen daraus. Amerika hat nicht die Gewohnheit, Europa Geld zu leihen, 
sondern vielmehr von ihm zu leihen. Die Neuheit der Lage macht es jetzt 
stutzig. Ich habe früher öfters gesagt, daß ein großes Land nicht allein von 
Rente und Zinsenanlagen seines Kapitals leben kann. Ich habe oft be- 
dauert, daß unsere Industriellen und Kaufleute nicht mehr auf französische 
Unternehmungen ausgegangen sind. Heute zeigt sich aber ein neuer Geist, 
der uns alle erneuern muß. Die Notwendigkeit, das, dessen wir bedürfen, 
zu bezahlen, koste es, was es wolle, hat uns genötigt, oft zu übermäßigen 
Preisen zu kaufen. Die Ministerien, die gern an ihrer Unabhängigkeit 
festhalten, kauften nach ihrem Gutdünken. Ich habe infolgedessen gefordert, 
daß künftig eine einzige Kontrollstelle alle Ausgaben regelt. England hat 
Gold hergeben müssen, um seinen Wechselkurs mit den Vereinigten Staaten
	        
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