Full text: Europäischer Geschichtskalender. Sechzehnter Jahrgang. 1875. (16)

96 Das deulsche Reich und seine einzelnen Slieder. (April 11.) 
die verschiedener engerer und weiterer Auslegung Raum gab, und hatte lange 
Zeit durch das selbstthätige Eingreifen der katholischen Hisae und die Zu- 
lassung der Organe des Staates eine über seinen wahren Sinn hinaus- 
gehende —. erhalten. Kihen wahren Sinn klarzustellen, war die 
Aufgabe Gesetzes vom 5. April 1873; es sollte zum allgemeinen und 
klaren Bhraset gebracht werden, daß auch eine selbstständige Besorgung 
der kirchlichen Angelegenheilen dem Hoheitsrechte des Staates, seiner Gesetz- 
gebung und Aussicht unterliege. Dennoch wird jener Einwand weiter und 
bis in die neuesten Tage gegen jede kirchenpolitische Gesehesvorlage erhoben. 
Fort und fort sowohl in den Häusern des Landtages, als in Organen der 
Presse gegen die Versassungsmäßigkeit der Mahregeln wiederholt, wiegt er 
um so schwerer, als er Beunruhigung in die Bevölkerung trägt, 
die gesetzgebenden Faktoren und die Staats#irgierung eines verfassungs: 
widrigen Verhaltens verdächtigt und die Gesetze, noch ehe sie ver- 
kündet werden, als solche bezeichnet, denen mit Recht Widerstand geleistet 
werden dürfe. Ein solcher Zustand kann in keinem Staate ertra- 
gen werden, namentlich in einer Zeit so ernster Bewegungen, wie die ge- 
genwärtige; unabweiebare Pflicht ist es, denfelben entschieden, kräftig und 
so schleunig als möglich zu beseitigen. Dies kann nur gelingen, wenn das 
Verhältniß zwischen Slaat und Kirche nicht ferner durch allge 
meine, der Mißdeutung fähige Säge, sondern lediglich durch ein- 
gehende Specialgesebe geregelt wird, also eine Aenderung der Verfassungs- 
Urkunde erfolgt. Vor einer solchen dorf um so weniger zurückgeschreckt wer- 
den, als die Gesegebung freier Bahn bedarf, um den Staat unter allen 
Umständen zu sichern gegen den seine Hoheitsrechte mißachtenden und an- 
greifenden und damit ihn selbst gefährdenden, von Rom geleiteten Clerus. 
Deßhalb wird die Aufhebung des Art. XV der Verfassungs-Urkunde vorge- 
schlagen. Die auf diesem Wege für die Geseygebung gewonnene Freiheit soll 
zur Abwehr jener Angriffe dienen. Anderen Nelhionspebellschaften. 
insbesondere der evangelischen Kirche gegenüber bedarf es sol 
cher Abwehr nicht. So weit die eigene Orduung ihrer Angelegenheiten 
geselich bereits geregelt ist, wird es dabei bewenden; so weit dies nicht der Fall 
ist, wird die Geseygebung diejenige Sicherheit schaffen, welche Corporationen 
ebührt, die der Rechtsordnung des Staates sich unterwerfen. Die Auf- 
Prong des Art. XVI findet ihre Rechtfertigung darin, daß das Vertrauen, 
unter dem den Neligionsgesellschaften der Verkehr mit ihren Oberen 
ungehindert freigegeben und die Bekamntmachung kirchlicher Anordnungen 
nur solchen Beschränkungen unterworfen worden ist, welchen alle übrigen 
Veröffentlichungen uuterliegen, namentlich in den letzten Zeiten schwer ge- 
läuscht worden ist. braucht nur an die Encyclica des Papsies an den 
preußischen A vom 5. Februar ds. Is. erinnert zu werden, um die 
Reugswengkei darzuthun, daß das Uebermaß freier Bewegung, welches der 
gedachte Artikel gewährt, in Gränzen zurückgeführt werden muß, welche mit 
dem Staatswohl verträglich sind. Die Bestimmung des Art. XVII1 
enthält die Entwicklung des im Art. XV niedergelegten Gedankens für einen 
einzelnen Fall; die Aufhebung des Art. XV führt daher in logischer Con- 
sequenz auch zur Aufhebung des Art. XVIII. Ueberdies wird ohne dieselbe 
es nicht dahin kommen, daß überall einflußreiche kirchliche Stellen von Män- 
nern verwaltet werden, welche den Gesetzen des Staates Gehorsam leisten, 
ein Anspruch, den insbesondere ein Staat nicht aufgeben kann, der vermöge 
seiner confessionell gemischten Bevölkerung das höchste Interesse daran ebat, 
daß die verschiedenen Religionsgesellschaften friedlich neben einander # 
Die Blätter wollen schon jetzt wissen, daß eine dritte W 
 
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.