Das deutsche Reich und seine einzelnen Slieder. (April 16.) 101
lemer-Alst, denen sich der protestantische (welfische) Abg. Brü#el an-
schließt, tritt energisch für die Beibehaltung der Artikel ein. Fürst
Bismarck und Cultusminister Falk treten ihnen entgegen. Virchow
erklärt sich Namens der Fortschrittspartei für die Vorlage, trägt da-
gegen darauf an, lediglich die Beseitigung der drei Verfassungsartikel
zu beschließen, den Zusatz dagegen wegzulassen. Die Vorlage wird
schließlich mit dem Wegfall des Zufatzes mit allen Stimmen gegen
diejenigen der Ultramontanen, der Polen und des Abg. v. Kirch-
mann angenommen.
Cultusminisler Dr. Falk: Gegenüber den Emanationen von der
andern Seile ist es ein entschiedenes Bedürfniß des Staates, den eigenen
Standpunkt mit ganzer Energie und Festigkeit klarzustellen, und dieß geschieht
nach Ansicht der Staatsregierung am Allerbesten und Zutreffendsten durch
die Vorlage, welche ausspricht: die Grenzen zwischen eurem und unserm
Gebiete regelt das Gesetz, und die Bewegung, die ihr im Rechtsleben des
Staates habt, bestimmt das Gesenz und nichts Anderes! Aber auch praktische
Gründe dazu liegen vor, die Gründe, daß das Verhalten der Mitglieder des
Cenlrums, das Verhalten derjenigen Presse, welche in ihren Anschauungen
mit den Auffassungen des Centrums übereinstimmt, darauf hinansläuft, diese
Gesetze ldie Maigesehe) als verfassungswidrig zu bezeichnen und eine Beun-
ruhigung in das Land hineinzutragen. Es gibt ja noch eine Masse anderer
Agitationsmittel, die Stlimmung im Lande gegen die Gesegebung zu erregen,
gegen welche wir nicht entscheidende Schritte thun können; aber dieß entbindet
uns nicht von der Pflicht, da, wo wir die Möglichkeit dazn haben, die Wur-
zeln solcher Agitation und Aufregung abzutragen. Deun es ist nicht zu
leicht zu taxiren, wenn die Herren des Centrums trot aller neuen Gesetze
immer wieder die Behauptung aufstellen, die Verfassung sei unter allen Um-
ständen verleyzt. Wir sind ja immer überzeugt gewesen, daß, wenn die Herren
vom Centrum ihre Reden halten, sie nicht darauf gemünzt sind, um die Ueber-
zeugung des Hauses oder der Stateregterung zu Falle zu bringen, sondern
lediglich, um gelesen zu werden. (Sehr r.) Denke man dabei an das
kirchliche Gebiet, auf welchem diese A#btation sich bewegt, an die Enpfäng=
lhtet des deutschen Volles für alle diese Fragen und an die Ungiltigkeits-
erklärung der Gesetze durch den Papst, so wird man der Staatsregierung
Recht geben, wenn sie diesen Punlt heutzutoge recht ernst uimmt. Die Ency-
clica soll jeßt ganz etwas Unschuldiges sein, und wir werden mit philolo-
gischer Interpretation derfelben vielfach beglückt. Gestern hatte ich das Ver-
guügen, zu hören, daß man die Bedeutung des Wortes „irritus“ am Besten
kennen lerne in der Composition mit ovum: irrita ova, Windeier (Heiter-
keil). Dieser heiteren Interpretation ist heute die ernstere des Herrn Reichen-
sperger gefolgt: irritus heiße „die relative Unwirksamkeit nach einer bestimm-
ten Richlung“ (Heiterkeit.) Sch glaube, die 1eberschtun des „Westfälischen
erkur", der „Germania" 2# welche dahin geht: diese Gesehe sind ungiltig,
ist richtiger. Tas Wort „ungiltig" wirkt und überzeugt mehr als eine „rela-
tive Wirksamkeit nach einer bestimmten Richtung hin“. (Heiterkeit.) Aber
die Motive sprechen auch mit vollem Bewußtsein davon, * die Gesetzgebung
in dieser ernsten Zeit freie Bahnen braucht, daß dem Staale nicht zugemuthet
werden kann, daß er durch seine eigene Gesetzgebung sich die Hände zusammen-
binde: und eine solche Verschnürung liegt in dem Artikel 15. Nicht also
theoretische, sondern unmittelbar praltisch wirkende Gründe sind es gewesen,
welche die Staatsregierung zu dem Entschluß geführt haben, Ihnen diese