Full text: Europäischer Geschichtskalender. Sechzehnter Jahrgang. 1875. (16)

104 Das deutische Reich und seine einjelnen Slieder. (April 16.) 
denken darf, als der Papst gestattet, die danach abstimmt, danach wählt. Sie 
werden auch das wieder bestreiten, und es wäre mir sehr lieb, wenn Sie das 
thöten; dann könnte man doch der Nlisera contribuens plebs klar machen, 
daß Sie nicht nach des Papstes Millen hier abstimmen. (Heilerkeit.) Der 
Papst hat ferner in Preußen seine officiöse Presse, welche besser bedient ist, 
als die des Staates; er hat damit die Möglichkeit, Heene Dekrete amtlich zu 
verkünden, oder wenigstens so Lut wie amtlich, und die Gesetze des Stoales 
für null und nichlig zu erklären; außerdem hat er 4 unserem Boden ein 
Heer von Geistlichen, ein Netz von Vereinen und Congregationen mit wirk- 
samem Einfluß — kurz es gibt kaum, jeit wir constitutionell sind, bei uns 
in Preußen Jemanden, der persönlich und autokratisch so einflußreich wäre, 
wie dieser hohe italienische Prälat mit den ihn umgebenden italienischen 
Nathgebern. Eine solche Stellung mit solcher Macht wäre an sich schon sehr ge- 
fährlich und für den Slaat unerkräglich, wenn sie einem Juländer verliehen 
wäre, selbst einem solchen, der dieselben Ziele erstrebte, wie der Staat, viel- 
leicht nur mit anderen Mitteln. Mir Alle streben ja nach demselben End- 
ziele, und in unseren harten Kämpfen handelt es sich nur um die verschie- 
denen Miltel zur Erreichung desselben. Hier aber steht diese Macht einem 
Ausländer zu, gewählt von einer italienischen oder doch der Mehrzahl nach 
italienischen Prälatur, mit ausländischen Zwecken, die mit dem deutschen Reiche 
und mit dem preußischen Staate wenig zu thun haben. Wir haben hier also 
einen mächtigen fremden Monarchen mit einem Programme, das 
dem des Slaates schnurstracks entgegengeseßt ist, das so feierlich 
wie möglich öffenklich verlündet worden ist, das Jeder annehmen muß, der 
nach der Auffassung des Papstes katholisch bleiben will, das als Glaubens= 
artikel geachtet werden will wie kein politisches Programm. Und dies Pro- 
ramm würde nun dem Papste selbst die Glaubenspflicht auferlegen, mit der 
He#ihet der prenßischen Unterthauen, mit den evangelischen, vollständig auf- 
zuräumen! (Heiterkeit. Widerspruch in Centrum.) Ja wohl, meine Herren; 
die Evangelischen sind nach diesem Programme gar nicht exi- 
stenzberechtigt. Weiter würde er nach demselben aufräumen müssen mit 
den constitutionellen Einrichiungen, mit der Preöfreiheit, deren sich das Cen- 
trum in so reichlichem Maße bedient, trohdem sie durch dogmenartige Dekreke 
mißbilligt worden ist. Außerdem aber müßte die Moajorität der Preuhen, 
von denen doch auch die Gerechligkeit beansprucht wird, die sie so weit Leübt 
haben, daß sie durch die Verfassung das Entstehen eines solchen Staates im 
Slaate ermöglichten, sie zwüfte schnell das Opfer des Intellects machen und 
kalholisch werden, oder aber ihr Vermögen würde confiscirt werden (Gelächter 
im Centrum), wie es Kelern gegenüber billig ist. Ja, meine Herren, die 
Confiscation des Vermögens ist eine sehr wirksame Maßregel (große feeiter. 
keit), und der Papst würde leinen Augenblick anstehen, 16 eintreten zu lassen; 
man würde sicher schließlich dazu kommen. Einem so mächligen frenden 
Monarchen, dessen Programm mit Nothwendigleit zu solchen Consequenzen 
führt, können wir die Privilegien nicht belassen, welche ihm bisher zugestan- 
den haben, und welche ihn und das große Gebiet, das er bei uns beherrscht, 
war der Aufsicht des Staates unterwerfen, ihm aber vor dem Geseß eine 
-rmahmestellung gewähren. Es ist da eine Einschränkung dieser über- 
mäßigen Macht absolut nothwendig nach den Principien der Gerechtigkeit 
und Duldung, welche unseren Volksstamm und unsere Dynaslie seit Jahr- 
hunderten charakterisirt haben. Dafür bürgl uns die Vergangenheit Deutsch- 
lands, der Stand der Bildung und der Gerechligleitssinn, der durch össent- 
liche Institutionen gewahrt und gepflegt wird. TDiese nothwendige Ein- 
schränkung also erfordert die Abschaffung der betreffenden Ver- 
fassungs-Artikel und vielleicht auch der Gesetze, welche damit im Zusam-
	        
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