Das deutsche Reich und seine tinjelnen Slieder. (April 16.) 107
erheben will, sondern bereit ist, auch andere Leute leben zu lassen nach ihrer
Art, und mit dem sich Friede schließen lassen wird; — darauf ist meine Hoff-
nung gerichtet, und dann hoffe ich wiederum einen Antonelli zu finden, der
einsichtsvoll genug ist, um dem Frieden mit der weltlichen Macht entgegen-
zukommen. Abg. Birchow (Fortschr.): Die Herren vom Centrum haben
sich heute zu wiederholten Malen zum Theil in Erinnerung an alten Libe-
ralismus, zum Theil vielleicht nur aus Gründen der Fechtweise immer an
die liberalen Parteien gewendet, gleichsam als käme es auf sie an. Meiner
Meinung nach ist den Herren vom Centrum die Verfassung von Werth nur
um der Artikel willen, die hier in Frage stehen. Dieselben Artikel wollten
die Herren in die deutsche Reichsverfassung hereinbringen, und von dem
Augenblick an, wo es nicht geschah, war das deutsche Reich ihnen nicht nur
gleichgiltig, sondern antipathisch. Ich fürchte, nach Aufhebung dieser Artikel
werden die Herren alle ihre Kräfte daran setzen, die Verfassung gänzlich zu
ruiniren. Herr v. Schorlemer will uns verantwortlich machen, kein Präjudiz
zu schaffen, wie man die ganze Verfassung los werden kann. Bei der nament-
lichen Abstimmung über die unter dem Minister aaine eingebrachte Vor-
lage wegen Aushebung des Art. 25 der Verfassung: „In den öffentlichen
Volksschulen wird der Unterricht unentgeltlich Frtheilen Pinedien sämmtliche Mit-
glieder des Centrums für die Aufhebung. mit Ausnahme eines einzigen katholi-
lischen Geistlichen, der seitdem durch die Centrumspartei sich genöthigt gesehen
hat, vom Schauplatz der polilischen Thätigkeit abzutreten, des Domkapikulars
Kuenzer. Sie (zum Centrum) sind geneigt, Verfassungsarlikel aufzuheben,
wenn es Ihnen raßt, und erklären es für ein Horribile, wenn es Ihnen
nicht paßt. Die Zahlen der Artikel werden allerdings als Leichensteine stehen
bleiben, aber als Leichensteine früherer Thorheiten der Gesetzgebung. Das
aus dem Wesen der römischen Kirche entspringende Bestreben, jede sich enkgegen-
stellende Schranke niederzuwersen, macht es eben so, wie es für lange Zeit
nicht möglich ist, die Grenze zwischen Kirche und Staat durch ein Concordat
bestiuntelten. unöglich, es in irgend einer Weise in der Verfassung zu thun;
deßhalb muß man die Kirche ganz aus der Verfassung beseitigen. Lassen wir
den Felsen Petri einfach bei Seile, daunn wird sich die Ohnmacht des Statt-
halters Christi gleich erweisen, der nur da mächtig wird, wo der Staat ihm
seine Hilfe leiht. Wenn mich etwas in meiner (Absicht stubig machen könnte,
der Aufhebung beizustimmen, so wäre es meine plötzliche Entdeckung, daß
Herr v Gerlach einmal dieselbe Meinung gehabt hat. Herr v. Gerlach be-
fürchtete bei der Verathung der Verfassungsurkunde, die Artikel würden dem
Atheismus zur Herrschaft verhelfen: das gerade Gegentheil ist eingetreten,
der Ultramontanismus hat davon allein profilirt. Wir hoffen, daß die staats-
bürgerliche und religiöse Freiheit eine größere sein wird, wenn die kirchliche
Freiheit abnimmt: denn dirse ist nichts weiter als die Freiheit der Hierarchie,
bie religiöse Freiheit ist die Freiheit der individnellen Ueberzeugung. Die
Gegenwart verlangt, daß wir Garantien für die jetzige und nachkommende
Welt schaffen, daß sie nicht in die Bande des Papslihums zurückfällt; denn
wir alle wissen, mit welcher Kunst der Katholizismus es verstanden hat.
nicht bloß die Schulen, sondern auch die Erziehung einzelner, namenklich her-
vorragender Kreise an sich zu reißen, mit welchem Erfolg er an den Höfen
operirk, und wie er selbst noch an protestantischen Höfen sich in den geheim-
sten Gemächern findet, wo man ihn niemals glaubte. Wenn ich unter Ihren
(um Cenlrum) Amendements die gräflichen und adeligen Namen lese, habe
ich immer den Eindruck: Siehe da, die Erziehungsresultate! Wir hätten
deßhalb bei dieser Gelegenheit auch gerne die beiden Passus des Art. 24 der
Verfassungsurkunde gestrichen, welche die Leitung des Religionsunterrichts
in die Hände der Neligionsgesellschaflen legen. Wir haben im Interesse der