Full text: Europäischer Geschichtskalender. Sechzehnter Jahrgang. 1875. (16)

Das deutsche Reich und seine einjelnen Slieder. (April 17.) 109 
vinzen. Dieselbe wird im Wesentlichen nach den Beschlüssen der 
zweiten Lesung — nur daß in einigen Punkten, wie für die Ein- 
berufung des Provinciallandtags durch den König, die Regierungs- 
vorlage wiederhergestellt wird — in namentlicher Abstimmung mit 
240 gegen 103 Stimmen angenommen. Gegen die Annahme stimmen 
die Ultramontanen ohne Ausnahme, die Polen und 18 Mitglieder 
der Fortschrittspartei, während 22 derselben Fraction mit der Mehr- 
heit die Vorlage annehmen. Die national-liberale Partei tritt bis 
auf 3 ihrer Mitglieder geschlossen für die Annahme ein. 
Da die Regierung zwar manche der von der Commission vorgeschla- 
genen und von der Mehrheit angenommenen Modifikationen angefochten hatte, 
aber doch kein Beschluß gefaßt worden ist, den die Regierung als gänzlich 
unannehmbar bezeichnet und auf dessen Ausmerzung durch das Herrenhaus 
sie #ingewiesen hätte, so gibl man sich der — wie sich später zeigt, irrigen 
oraussehung hin, die Staatsregierung werde, um das 6 noch in 
dieser Session zu Stande zu bringen, die Beschlüsse des k rel nech 1i7 
im Herrenhaufe vertreten und durchsetzen. Freilich ist man bereits darauf 
gefaßt, daß das Gesetz im Herreuchmee nicht nur von der außersten feu- 
dalen Rechlen werde bekampt werden, sondern auch von einigen Bürger- 
meistern großer Slädte, welche durch einige den Interessen der größeren 
Städte vermeintlich ungünsiigo Bestimmungen des Gesetzes in der bisher be- 
folgten Politik der liberalen Partei wankend geworden sind, obgleich das 
Gesetz in Verbindung mit demjenigen über die Verwaltungsjustiz von Lasker 
ausdrücklich als eine der wichtigsten Errungenschaften für die bürgerliche Frei- 
heit bezeichnet worden ist. 
Das Haus genehmigt den, dem Beschlusse desselben gelegent- 
lich der Budgetberathung entgegenkommenden Gesetzesvorschlag, der 
Provinz Schleswig-Holstein 4,500,000 Mark zu überweisen, in der 
Meinung, daß damit alle aus den Kriegsereignissen von 1848 bis 
1851 hergeleiteten, gegen den preußischen Staat erhobenen Ansprüche 
als vollständig beseitigt angesehen werden sollten. 
I7. April. (Preußen.) Herrenhaus: genehmigt dus sogen. 
Sperrgesetz der bisherigen Staatszuschüsse an die katholische Kirche 
auch in zweiter Berathung. 
17. April. (Bayern.) Die liberale Partei des Landtags er- 
läßt mit dem Schlusse des Landtags und angesichts der bevorstehen- 
den Neuwahlen einen warmen Aufruf an die Wähler: 
Am Beginne unserer Thätigkeit standen wir einer clericalen 
Mehrheit de * zen diur später war eine geschlossene liberale Mehrheit 
nicht vorhanden. In solcher Lage mußten wir es als eine Hauptaufgabe 
ansehen, zu verhüten, daß die gegenwärtige Staatsverwallung, wenn wir 
auch nicht in allen Richtungen mit ihr übereinzustimmen vermochten, von 
der clericalen Partei gedrängt und gestürzt werde, Dazu waren wir um so 
mehr veranlaßt, als immer klarer zu Tage daß der Staat versäumt 
hat, zur geeigneten Zeit für seine Ss, und Verlheidigungsfähig- 
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