Full text: Europäischer Geschichtskalender. Sechzehnter Jahrgang. 1875. (16)

Das deutsche Reich und stine einjelnen Glieder. (April 24 27.) 115 
vorhanden sein, wenn sie noch durch ein Gesetz über die Verwaltung des 
Diöcesan-Vermögens ergänzk ist. Nach einer im Berichte wiedergegebenen 
Mittheilung der Regierung wird ein solches ausgearbeitet. und hat die Re- 
gierung es schnellstens zu fördern versprochen. Das Gesetz ist weit entfernt 
davon, eine Säcularisatlion zu sein, es regelt vielmehr ausschließlich die Ver- 
waltung und trifft absichtlich keine Bestimmung über die müßige Princips- 
frage, wer eigentlich der Eigenthumsträger des Kirchenvermögens sei. Soweit 
man zwischen den Zeilen des Berichtes lesen kann, haben die ultramontanen 
Mitglieder der Commission sich zwar, wie selbstverständlich, gegen das Gesetz 
erklärt, allein im Uebrigen keinen so unverföhnlichen Standpunkt eingenom- 
men, wie der Erhbischof von Köln in seinem Schreiben an das Abgeordneten= 
haus vom 10. März d. J. Sie haben dem Staate sogar ein ziemlich weit- 
gehendes Aussichtsueht und ein subsidiäres Gesetzgebungsrecht zugestanden. 
Die Mehrheit des Hauses genehmigt die Modification der 
Commission, wonach der Pfarrer nicht der geborene Vorsitzende des 
Kirchenvorstandes sein soll, sondern dieser seinen Vorsitzenden auf 
drei Jahre wählt. Dagegen werden mehrere andere von der Com- 
mission vorgeschlagenen Verschärfungen der Regierungsvorlage theils 
gemildert, theils ganz abgelehnt. 
So wird der von der Commission angenommene Antrag Wehren- 
pfennig's, für die Zeit der Wirksamkeit des sog. Sperrgesetzes auch die Zah- 
lungen aus Kirchenkassen an die Geistlichen zu sperren, in Folge des Wider- 
spruches der Fortschrittspartei nur in der abgeschwächten Gestalt angenommen, 
daß dort, wo in Folge der Nichtausführung des Gesetpzes (Weigerung, zu 
wählen oder eine Wahl zum Kirchenvorstand oder zur Gemeindevertretung 
anzunehmen) das Kirchenvermögen unter commissarische Verwaltung des 
Staaks genommen werden muß, die Sperre einzutreten hat. Während der 
ursprüngliche Antrag geeignet war, für die Ausführung des Gesehes ab- 
chreckend zu wirken, erscheint die neue Bestimmung nur als Strafe für die 
Nichtausführung. Dergestalt erscheint das Amendement als eine Vereinbarung 
sämmtlicher anticlericaler Parteien. Im Uebrigen sind die Commissionsvor- 
chläge nur in dem einen Punkt noch abgeändert worden, daß die von an- 
deren als kirchlichen Orgauen zu kirchlichen Zwecken veranstalteten Samm- 
lungen nicht als Gegenstand des Kirchenvermogens angesehen und unter die 
betreffenden Controlen gestellt werden. 
Die Ultramontanen ihrerseits bemühen sich, die bisherige Stellung 
Schritt für Schritt zu vertheidigen. Windthorst geht sogar so weit, zu er- 
klären, daß seine Partei keineswegs einer Betheiligung der Gemeinden an 
der Vermögensverwaltung der Kirche entgegen sei, nur müsse eine solche 
Ordnung nicht vom Staate einseitig vorzeschrieben, sondern mit der Kirche 
vereinbart werden. Regierungsseitig wird darauf erwiedert, daß die geseß- 
gebende Gewalt in Preußen bei der Krone und den beiden Häusern des Land- 
tags ruhe, andere Faktoren hätten ein Anrecht zur Betheiligung an der Ge- 
sebgebung nicht. Uebrigens handeln die Ultramontanen in der That nur 
klug, wenn sie, obgleich mit widerwilliger Hand. das, was ihnen die Regie- 
rung mit diesem Gesetze bietet, eine antonome Kirchenvermögensverwaltung, 
annehmen und auch den Episcopat veraulassen, an der Ausführung des Ge- 
seßes mitzuwirken; es erscheint dies als das einzige Mittel, durch welches 
sie die Verhöngung einer gesetzlichen Dictatur über die Administration des 
bichepvermogens, wozu der Staat sich schließlich gezwungen sehen könnte, 
verhindern 
  
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