110 Nas deutsche Reich und seine einselnen Slieder. (Juni 11—14.)
„Der Standpunkt, von welchem aus früher die Aufnahme des jüdi-
schen Neligionsunterrichts in den Lehrplan öffentlicher höherer Schulen ab
gelehnt wurde, kann gegenwörkig nicht mehr festgehalten werden. Demgemäß
ist bereits an nichi wenigen Gymnasien und Realschulen bei genügender Zahl
jüdischer Schüler auf den Antrag der Synagogengemeinde des Orts ein be-
onderer jüdischer Nellgionsunterrich angesetzt und wird, wo die Verhältnisse
des Schullokals nicht eine andere Einrichtung nöthig machen, in der Regel
zu derselben Zeit im Schulhause ertheilt, wo der christliche Religionsunter-
richt der betreffenden Klassen stattfindet. Die von den Direktoren und Klassen-
ordinarien zu übende allgemeine Aussicht erstreckt sich selbstverständlich auch
auf den jüdischen Religionsunterricht. Als obligatorisch für alle die Anstalt
besuchenden jüdischen Schüler wird derselbe nicht angesehen. Von der Quali-
fication des von der Synagogengemeinde als Religionslehrer Präsentirten
hat das Königliche Schulceollegium der Provinz sich nähere Kenntniß zu
verschaffen. Bei Feststellung der Censuren seiner Schüler wird der jüdische
Religionslehrer zugezogen und unterzeichnet dieselben an letzter Stelle aus-
drücksich als jüdischer Neligionslehrer. Was die Remuneration des Lehrers
betrifft, so gewährt bei den vom Staate unterhaltenen höheren Schulen die
Anstaltskasse einen Beitrag dazu, ein entsprechendes Abkommen ist meisten-
theils auch bei den aire Wialten zwischen dem Patronat und der Syna-
gogengemeinde getroffen.
11. Juni. (Preußen.) Herrenhaus: nimmt nunmehr das Gesetz
betr. Vermögensverwaltung der katholischen Kirchgemeinden nach den
letzten Beschlüssen des Abg.-Haufes unverändert an. Die Pfarrer
sind demnach vom Vorsitz im Kirchenvorstand ausgeschlossen.
II. Juni. (Bayern.) Die Regierung erläßt eine Verordnung
betr. die bevorstehenden Landtagswahlen und trifft nach der ihr ge-
setzlich zustehenden Befugniß eine theilweise veränderte Wahlkreis-
eintheilung. Dieselbe ist den Liberalen günstig, den Ultramontanen
ungünstig. Die ultramontanen Blätter eifern daher gewaltig gegen
diese „Wahlkreisgeometrie“, die ihre Aussichten allerdings wesentlich
herabzustimmen geeignet scheint.
12. Juni. (Preußen.) Herrenhaus: nimmt die Gesetze betr.
Provincialordnung, Dotation der Provinzen und Organisation der
Verwaltungsgerichte nach den letzten Beschlüssen des Abg.-Hauses an.
13. Juni. (Hessen.) Eine Landesversammlung der deutschen
Partei in Frankfurt beschließt einen warmen Aufruf bez. der bevor-
stehenden Landtagswahlen. Die Stimmung der Versammlung ist
eine mit der Regierung bez. der Ausführung der Kirchengesetze viel-
fach unzufriedene, da ihr eine entweder schwächliche, oder aber gegen-
über den Ultramontanen von vornherein aussichtlos vermittelnde
Haltung vorgeworfen wird.
14. Juni. (Deutsches Reich.) Reichstags-Justizcommission:
beschließt auf den Antrag von Marquardsen (Bayern), im Gegensatz