144 Das deulsche Reich und seint einjelnen Slieder. (Juni 15.)
welches nach dem Ausspruche eines hervorragenden Abgeordneten (Miquel)
„in Bezug auf die communale Selbstständigkeil so weit geht, daß die Ansprüche
gar nicht höher gespannt werden können“, daß es kein Land der Welt gibt,
welchrs soweit Gesetze dies vermögen, gleich viele Bürgschaften für die Herr-
schaft des Gesetzes und für die Wirksamkeit der Selbstverwaltung gewährt,
als die in Rede stehenden Gesetze. Was das Volk zu thun hat, ist: zu diesen
Gesetzen die Charaktere herbeizuschaffen.“
15. Juni. (Preußen.) Schluß der Session des Landtags.
Der Vicepräsident des Staatsministeriums, Finangminister Camp-
hausen, verliest die kgl. Botschaft. Windthorst-Meppen (ultram.)
spricht dem Präsidenten seinen Dank für die unerschütterliche Ruhe
und große Unparteilichkeit aus, mit welcher dersfelbe die Geschäfte
geleitet habe.
Die Session darf nach dem übereinstimmenden Urtheil aller Parteien
als eine der bedeutsamsten des preußischen Landlages angesehen werden. Im
Einzelnen gehen jedoch die Urtheile ziemlich scharf auseinander, namentlich
auf Seite der Fortschrittspartei, während die Nationalliberalen Ursache haben,
mit den erreichten Refultaten zufrieden, die verschiedenen conservativen Frak-
tionen aber mit denselben wenigstens nicht unzufrieden zu sein. So siicht
die Wiener „Neue Fr. Presse“, die zwar unbefangen, aber doch der preußi-
t Forschrittspartei näher steht als den Nationalliberalen und die preußi-
nF.e Regierung jedenfalls nicht zu schonen gemeint ist, sich ausnehmend be-
-riedigt aus, indem sie sagt: „Seit den bewegten Tagen der Conflikt-Epoche
haben die preußischen Kammerverhandlungen den Fernstehenden nicht so reich-
iche Gelegenheit zur Diecnssion geboten, wie in den verflossenen Monaten.
Mit gerechter Genugthunug dürsen Staatsregierung und Volksvertretung in
Preußen auf die Refultate der legislativen Arbeit Fzurückblicken, die eine auf
späte Zeiten hinaus wirkende segensreiche genannt zu werden verdient. Man
ist an leitender Stelle in Berlin der großen, bisher vernachlässigten Aufgabe,
in Preußen selbst mit den Resten einer langen Junkerherrschaft reinen Tisch
zu machen, bewußt geworden, und man fühlt ganz ernsthaft die Bedeutung
der Thatsache, daß Preußen an die Spiße Deutschlands getreten ist. Der
reformatorische Geist durchdringt sichtlich die Verwalung des Königreiches,
und er prägt sich ganz deutlich in den gahlreichen Gesetzen zur Hebung von
Ackerbau, Handl und Verkehr und noch mehr in der Provincial-Ordnung
aus, welche die Kammern votirt haben. Die innere Verwaltungsreform,
welche mit der Kreisregierung begonnen, ist in der abgelaufenen Session glück-
lich fortgesetzt worden, die Verwaltungs-Justiz hat durch Errichtung eines
obersten Verwaltungs-Gerichtshofes ihre den Grundsäßen des modernen Rechts-
staates entsprechende Krönung erfahren. Bedentsamer aber als die schätzens-
werthen Resultate der legislativen Reformarbeit zeigten sich die kirchenpoliti-
schen Akte der preußischen Kammern in der zu Ende gegangenen Sesfion.
Tie preubische Regierung schien bei der Menge der Verwaltungs- Gesetvorlagen
sich mit der Vervollständigung der kircheupolitischen Gesetzgebung durch ein
Supplement über kirchliche Vermögensverwaltung für diese Session begnügen
B¾- wollen — doa erschien die unerhörte Eneyclica des Papstes vom 5. Febr.
3. Is., welche die Maigesetze für null und nichtig erklärte und also die
wuchshe Siaatsangehorigen katholischen Gluubens des Gehorsams gegen
das Staatsoberhaupt entband. Von diesem Augenblicke an fielen die Schläge
a „Pfaffenhammers“ Bismarck hageldicht und zentnerschwer auf das Haupt
P“ ultramontanen Hydra. Allen Gerüchten über Regierungsmüdigkeit, ner-