Das deuische Reich und seine einjelnen Glieder. (Nov. 4—5.) 189
Der Bundescommissär bezeichnet ols Zweck der Vorlage die Er-
sehung der bisher für das Verhältniß von Eisenbahnen und Post und für
die Verpflichtung der ersteren zur Beförderung der Postsendungen maßgeben-
den verschitenen Concessions-Urkunden und Reglements durch einheitliche ge-
sepliche Grundsäße. Tie Vorlage sindet indeß lebhafte Anfechlung: die unent-
geltlichen Leistungen der Eisenbahnen für die Post seien eine wahre und zwar
unbillige Eisenbahnsteuer, die sich jährlich auf 7—8 Millionen Mark be-
rechnen lasse; die Eisenbahnen sollten für ihre Leistungen vielmehr vollständig
entschädigt werden; das bestehende Recht sei in Wahrheit ein Unrecht, das
durch die Vorlage neu sanktionirt werden sollte u. dgl. General-Post-
direktor Stephan gesteht, daß die Wendung, die die Berathung angenom-
men, und ihr Charakter ihn sehr überrascht habe. Es handle sich um ein
Gesetz lediglich formeller Natur. Aber gleichwohl sei man maateriell in die
Berathung eingetreten und werde die Grundlage des bestehenden Nechtes seine
Substanz, zum Gegenstande der Discussion gemacht, eines Rechtes, das giuen
wichtigen Bestandtheil des Besitzstandes des deutschen Reiches bilde, das a
Accessorium des Hoheilsrechts der Post mit diesem Hobeitsrecht selbst 0
dem Satze: ncessorium seduitur principalc auf das Reich mit übergegangen
sei, eines Rechtes, das ein halbhundertjähriges Allodium der Postverwaltung
bilde, ohne dessen Besib sie ihre hohen Zwecke gar nicht erfüllen könne. Hin-
ter den Angriffen gegen diesen Besitzstand stecke nichts weiter als die finan-
cielle Bedrängniß der Privatbahnen. Auch in anderen Staaten, in England
namentlich und in den Vereinigten Staaten bestehen derartige Vorrechte der
Postverwaltung. Das bisherige Geset habe sich bewährt, ganz abgesehen von
Post und Eisenbahnen, für das Land, für das Publikum, dessen Interessen
sich an die Aufrechthaltung eines geordnelen und billigen Postwesens knüpfen.
Die Vorlage wird indeß schließlich doch gegen den Wunsch der Regierung an
eine Commission von 14 Mitgliedern gewiesen.
4. November. (Preußen.) Die bisherige Beschlagnahme des
Vermögens des Ex-Kurfürsten von Hessen wird in aller Form auf-
gehoben. Der Widerstand gegen die vollendeten Thatsachen von 1866
ist mit dem Tode des Ex-Kurfürsten erloschen. Die hessische Fürsten-
familie hat sich bis auf einige Glieder, deren Widerstreben bedeu-
tungslos ist, mit dem preußischen Königshause beglichen.
4. November. (Bayern.) Der Cultusminister beantwortet die
Rechtfertigungsschrift des Bischofs Haneberg von Speyer bezüglich
der Oggersheimer Affaire (3. Oktober) in ablehnendem Sinne. Es
ist Thatsache, daß das damalige rücksichtslose Vorgehen der beiden
Bischöfe die ultramontane Sache schwer geschädigt und wohl nicht
wenig zu der Entschließung des Königs vom 19. v. M. beigetra-
gen hat.
5. November. (Deutsches Reich.) Neichstag: Erste Bera-
thung der Gesetzvorlage betr. die gegenseitigen Hülfskassen der Ar-
beiter. Schulze-Delitzsch (Fortschr.), Bebel (Socialdemokrat), Oppen-
heim (nationalliberal) und Monfang (ultramontan) sprechen gegen
die Vorlage, die denn auch an eine Commission von 21 Mitgliedern
gewiesen wird.