Full text: Europäischer Geschichtskalender. Sechzehnter Jahrgang. 1875. (16)

Das deutsche Reich und feine einjelnen Slieder. (Nov. 20—22.) 193 
für eine solche erklärte, die in Zusammenhang gebracht werden müsse mit 
einer gerechten Ausgleichung zwischen Nord= und Süddentschland. Daß diese 
Steuer in der beabsichtigten Weise nicht durchführbar ist, kann man aus der 
Vorlage selbst entnehmen. Die Börsensleuer aber, deren Nothwendigkeit im 
Interesse der gerechten Ausgleichuug der Finanzeinnahmen des Neiches ich 
durchaus anerkenne, kann nicht für sich allein auftreten, sondern nur allein 
unter Würdigung der gesammten Stempelsteuer, bei der anerkanntermaßen 
eine Ausglesung nothwendig ist, weil gegenwärtig höchst unbillige und be- 
lastende Sähe für einzelne Formen des Verkehrr vorhanden sind. Diese beiden 
Sieuern haben ganz und gar den Charakter an sich, zu einer bloßen Aus- 
gleichung für das Budget zu dienen, als Deckung für ein geringes Deficit, 
—8 sich zufällig in einem Etatsjahr herauẽgesielit hat, und dazu dürfen wir 
durchaus nicht die Hand bieten, während wir unsere volle Bereitwilligkeit 
erklären, auf eine Steuerreform, wo sich ein Bedürfniß dazu herausstellt, 
jederzeit einzugehen. Möge also die Regierung sich nicht entmuthigt fühlen, 
wenn wir diese Politik nicht für richtig anerlennen können, lediglich für das 
Budgetbedürfniß eines Jahres die neuen Steuern zu bewilligen. Wir sind 
im Uebrigen weit entfernt davon, eine Differenz mit der Regierung zu be- 
fürchten; wir müssen uns im Gegentheil den verdienten Finangleitern des 
Reiches und des preußischen Staates um so fester anschließen, je mehr wir 
sehen, mit welchen Schwierigkeilen sie zu lämpfen haben, und wie gerade 
alle Diejenigen, die sich in den letzten setten Jahren der Ueberspelulation ganz 
vollgefüttert haben, in überslürzender Hast die Negierung drängen, jetzt in 
den Zeiten der Crise ihre Schutzzölle zu befestigen und zu erhöhen. Das sind 
gerade Diejenigen, die diese Crisis zum nicht geringen Theile mitverschuldet 
haben, die insbesondere durch die ungesunde Eisenbahnwirthschaft gerade da- 
durch, daß sie in dem selbstgesch haffenen Zustande die wirthschaftlichen Verhält- 
nisse völlig verschoben, die Arbeiter an ungeeignete Plätze verlockt haben, wo 
sie plötzlich nach Einbruch der Crise brodlos werden müssen und die unend- 
liches Unheil über das Land gebracht. Eine Crisis in dem Maße, wie sie 
von den Vertretern= der Conservativen uns ausgemalt wird, kann ich gar 
nicht anerkennen. Sie müssen doch die Akbiltuisfe ihrer brvorzugten sei 
nicht als maßgebend betrachten für den Wohlstand der Natio 
haben etwa die Einlagen der Sparkassen abgenommen! Im Ggemhen, “ 
nehmen zu. Ebenso hört man die kleinen Landwirthe durchaus nicht klagen, 
höchstens über Arbeitermangel, an welchem aber die schwindelhaften Prodnk= 
tionen, an denen Männer aus den höheren Klassen, die zu Ihrer Partei 
gehören, in hervorragendem Maße sich betheiligt haben. (Lebhafter Wider- 
spruch und Unruhe rechts.) Gewiß, m. H., haben Sie denn ganz vergessen, 
wer die Genossen der Strousberge waren und noch sind' Wenn auch dem 
Einen oder Anderen eine Quittung der vollständigen Unschuld ausgestellt 
wird, Sie werden doch unmöglich vergessen machen können, daß nicht durch 
unsere wirthschaftliche Gesehgebung diese Calamität verschuldet worden ist, 
sondern gerade in erster Linie von Deuen, welche vorgestern, gestern, ja heule 
noch laut und mit Emphase gegen diese Gesetgebung deklamiren. Ich hoffe, 
daß es der liberalen Parkei vergönnt sein wird, mit der Regierung fortzu- 
wirken in der Forkführung der bisherigen Wirthschaftspolitik, und ich freue 
mich, diese Hoffnung durch die heutige Rede bestätigt zu sehen. 
20. November. (Deutsches Reich.) Der Reichskanzler trifft 
aus Varzin wieder in Berlin ein, um an den Arbeiten des Reichs- 
tags nunmehr Theil zu nehmen. 
22. November. (Deutsches Reich.) Reichstag: Berathung 
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