Full text: Europäischer Geschichtskalender. Sechzehnter Jahrgang. 1875. (16)

194 Naos deutsche Reich und feine einzelnen Elieder. (Nov. 23—24.) 
des Budgets: der Reichskanzler bestätigt und bekräftigt die Erklä- 
rung des preußischen Finanzministers Camphausen vom 20. d. M.: 
Ich schließe mich den Aeußerungen meines Collegen im Bundesrath, 
Herrn Camphausen, — ich ziehe es vor, ihn nicht als preußischen Finanz- 
minister, sondern als Mitglied des Bundesrathes. zu beheichnen — vollständig 
an, daß auf keinem Gebiete des Staatslebens die Entscheidung 
eines Reichstages, eines Parlamentes in letzter und unanfecht- 
barer Justan zweifelloser ist und sein kann, als in der Entschei- 
dung über die Art, wie wir die Mittel aufbringen wollen, die 
wir für unser Staatswesen im Reiche und in den Einzelstaaten 
brauchen. In diesem Punkte sind Sie vollständig in der Stellung, mit 
dere Nachücht des Mächtigen verfahren zu können und diese Frage lediglich 
aus dem Gesichlspunkte zu behandeln: ist es zweckmäßig, daß die Mittel, die 
wir brauchen, zum Theil in der vorgeschlagenen Form aufgebracht werden 
sollen oder nicht? Wenn eine Regierung in dieser Finanz= und Steuerfrage 
nicht einmal die Nechte der Landesvertretung auerkennen und achten wollte, 
so wäre eben der Constitutionalismus bei uns noch nicht einmal zu den 
allerersten Anfängen gelangt. In der That, seien Sie in dieser Linicht auz 
unbesorgt und seien Sie nachsichtig und entgegenkommend in dem gabt 
Ihrer Machtstellung, die auf diesem Gebiete völlig unantastbar ist.“ 
Die Annahme oder Ablehnung der beiden Steuervorlagen involvirt 
also entschieden keine Cabinetsfrage. 
23. November. (Baden.) Eröffnung des Landtags. Thron- 
rede des Großherzogs: 
„Der Ausbau des Reiches schreilct zu unser aller Freude kraftvoll 
voran. Dieses große Werk vollzieht sich unter ellseitiger Hingebung an das 
Gesammtinteresse Deutschlands, für dessen Ehre und Macht ich und mein 
Volk nothige Opfer frndig bringen. Solch' erhebendes Bewußtsein läßt mich 
mit um rößerer Sorgfalt benüßt sein, den Interessen meines Landes 
eine Mbr Wirdigung Vewährt zu sehen. Die innere Entwicklung des Lan- 
des vollzieht sich sicher und stetig in den Bahnen, welche eine den Anforde- 
rungen und Wehürsnissen des heutigen Lebens entsprechende Gesetgebung ihr 
borgeeichet hat hat. Wenn dabei zu meinem Bedauern immer noch Beunruhi- 
gungen ervolireten als sei Gefahr für die Freiheit der religiösen Ueberzeu- 
gungen vorhanden, so hoffe ich, daß es mit der Zeit gelingen wird, diese 
Beunruhigungen in Vertrauen zu verwandeln. Die auf dem vorigen Land- 
tage angeregte Frage einer Aufbesserung des ungenügenden Einkommens zahl- 
reicher Pfarrer der beiden christlichen Kirchen habe ich einer sorgfältigen Prü- 
fung unterziehen lassen, und es gereicht mir zur besonderen Freude, Ihnen 
mittheilen zu können, daß meine Regierung im Stande ist, Ihnen die Mütrel 
und Wege zu bezeichnen, wie dem von allen Seiten anerkannten Mißstande 
sofort dee#eiseire Abbife verschafft werden kann. . .. Dem allseitig bekannt 
gegebenen Wunsche, die jetzt nach Confessionen geireanten Volksschulen zu 
vereinigen, wird, soweit un Bedürfniß besteht, durch einen Ihnen vorzu- 
legenden Gesehentwurf entgegengekommen. Die vorgeschlagenen Gesetzesände- 
rungen werden in einer Weise durchgeführt werden können, welche die Er- 
theilung des confessionellen Religionsunterrichts vollkommen sicher stellt.. 
24. November. (Deutsches Reich.) Reichstag: Berathung 
des Budgets: Die als Zuschuß zu den Kosten der Universität Straß- 
burg geforderten jährlichen 400,000 Mark werden bewilligt. Bei 
 
	        
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