Full text: Europäischer Geschichtskalender. Sechzehnter Jahrgang. 1875. (16)

402 Nalien. (Sept. 12. — Auf. Okt.) 
sleriellen Vorschläge, nur die neapolitanischen Clericalen und Radbicalen lehnten 
dieselben ab und die Stadt Neapel verliert dadurch die halbe Million, welche 
die Gemeinde auch nach der Einführung des erhöhten Pachtschillings immer 
noch gewonnen hätte. 
12. Sept. Großartige Michel-Angelo-Feier in Florenz. 
22.—25. Sept. Zweiter italienischer Katholiken-Congreß in 
Florenz. Die Sitzungen sind nicht öffentlich. Die Verhandlungen 
bejziehen sich hauptsächlich auf zwei Punkte, die sogen. Freiheit des 
Unterrichts bezüglich der Universitäten, wie sie von den Clericalen 
in Frankreich erobert worden ist, auch in Italien durchzusetzen und 
dann, sich immer mehr an den Gemeindewahlen zu betheiligen, um 
hier nach und nach festen Fuß gegen die Regierung zu gewinnen. 
Der vorjährige erste Congreß in Venedig wurde in Italien von den 
Liberalen vielfach nur bespöttelt, der jetzige zweite fängt an, sie 
nachdenklich zu machen. Ein Breve des Papstes an die Versamm- 
lung hatte sie übrigens gewarnt, etwaige Versöhnungsideen den li- 
beralen Katholiken gegenüber in ihrem Schooße aufkommen zu lassen. 
Anf. Oktober. Der endlich wirklich bevorstehende Besuch des. 
deutschen Kaisers in Mailand drängt momentan alle anderen Inter- 
essen in den Hintergrund. Die Bedentung der neuen Zusammenkunft 
zwischen dem Kaiser und dem Könige von Italien wird von der 
öffentlichen Meinung in Italien nicht nur vollkommen erkannt, son- 
dern nachgerade auch ganz unumwunden ausgesprochen. 
Selbst die sonst so vorsichtige „Opinione", das älteste, verbreitetste 
und wohl auch einflußreichste der Regierungsblätter sagt darüber in einem 
„Kaiser Wilhelm in Italien" überschriebenen Leitartikel: „Die clericalen 
Blälter können ihren Aerger über die bevorstehende Reise des Kaisers nicht 
verbergen. Sie fürchten, daß sie nicht ohne Einfluß auf die Kirchenpolitik 
der italienischen Regierung bleiben wird. Wenn die Kaiserreise, die uns nur 
als ein Auslausch von Höflichkeiten und als ein Zeichen aufrichtiger Freund- 
schaft erschien, wirklich ein grohes politisches Ereigniß werden sollte, wie die 
clericalen Blälter behaupten, so hat Italien eben so viel Grund, sich darüber 
zu freuen, wie sich die Elericalen deshalb ärgern. Sollte ihre Angst und 
Unruhe kein böses Gewissen verrathen, das ihnen wegen ihres Verhaltens 
gegen das Valerland Vorwürfe macht? Die Clericalen können sich nun ein- 
mal nicht von dem Mittelalter losreißen. Vaterland, Freiheit, Unabhängig- 
keit, Volk und liberale Institutionen scheinen für sie gar nicht zu existiren. 
Der Kampf zwischen Priesterthum und Kaiserreich ist hefliger wieder ent- 
brannt als je. Er hat zwar andere Formen angenommen, in seinem Wesen 
ist er aber immer der nämliche. Die Kirche will den Staat beherrschen und 
ihn wie einen Blinden führen. Die Zeiten haben sich aber geändert. Das 
Kaiserreich sirebt nicht mehr nach der Universalmonarchie, sondern will die 
Freiheit seiner Bürger gegen die Anmaßungen einer Macht beschützen, welche 
unter dem Mantel der Religion ihre politischen Ideen einschmuggeln will 
und das Volk in eine Vergangenheit zurückzuführen sucht, welche traurige 
Erinnerungen an Verfolgungen, Unduldsamkeit, Fanalismus, Unwissenheit,
	        
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