Full text: Europäischer Geschichtskalender. Sechzehnter Jahrgang. 1875. (16)

448 Velgien. (Juni 6.—30.) 
zu schwerem Attentat straffällig sein soll und äußert im weitern Verlauf der 
Debatte: Belgien müsse die Redefreiheit bei sich durchaus aufrecht erhalten, 
aber es sei nothwendig, daß alle Meinungen in solchen Fällen, wo es sich 
um Vorgänge in andern Ländern handle, in weiser und maßvoller Form 
zum Ausdruck gelangten. Die von Dolez und d'Anethan eingebrachte Tages- 
ordnung wird schließlich einstimmig angenommen. 
6. Juni. Belgien beantwortet die Eröffnungen Rußlands be- 
treffs der Folge, welche der vorjährigen Brüsseler Conferenz über 
das Kriegsvölkerrecht zu geben sei, worin es seine Absicht etwas mo- 
dificirt oder wenigstens näher begränzt, dahin, 
daß er Act nimmt von den neuerlichen Erklärungen Rußlands, und 
vor allem davon, daß es sich nicht um eine sörmliche internationale Con- 
ferenz handelt. Die belgische Regierung hält die Vorbehalte aufrecht, welche 
ihr Telegirter zur Zeit der ersien Brüsseler Conferenz in Bezug auf das 
von den mittleren (secondaires) Staaten angerufene Recht der Vertheidi- 
gung des Gebietes gemacht hat und stellt eine Frage hinsichtlich der Gegen- 
seitigkeit: „Einer der Kriegführenden erklärt, daß er sich an die von der 
Conferenz grundgelegten Bestimmungen halten werde; geschieht dieß nicht 
bloß unter der Bedingung, daß der andere Kriegführende dieselbe Erklärung 
abgebe? Es ist anzunehmen, daß diese Frage auf der St. Petersburger Con- 
ferenz in gerechter Weise erörtert und gelösl werde.“ 
8. Juni. II. Kammer: die Regierung legt derselben nunmehr 
wirklich einen Gesetzentwurf vor, durch welchen die Lücke in der 
Gesetzgebung bez. des Falles Duchesne ergänzt werden soll und dem 
Begehren Deutschlands entsprochen wird. 
23. Juni. II. Kammer: genehmigt mit einigen von der Com- 
mission beantragten Modificationen den Gesetzentwurf Duchesne mit 
75 gegen 6 Stimmen. 
30. Juni. Senat: nimmt den Gesetzentwurf Duchesne seiner- 
seits ohne Debatte an. Derselbe lautet nunmehr: 
„Art. 1. Jeder, welcher direct angeboten oder vorgeschlagen hat, ein 
mit Todesstrafe oder Zwangsarbeit bedrohtes Verbrechen zu begehen oder 
an einem solchen Verbrechen theilzunehmen; jeder, der ein solches Anerbieten 
oder solchen Vorschlag angenommen hat, wird mit Gefängniß von 3 Mo- 
naten bis zu 5 Jahren und mit einer Geldbuße von 50—500 Fr. bestraft, 
vorbehaltlich der Anwendung des Art. 85 des Code pônal, wenn betreffende 
Umstände obwalten. Der Schuldige kann überdieß mit Untersagung der 
bürgerlichen Rechte, entsprechend Art. 33 des Code pénal bestraft und wäh- 
rend der Dauer von mindestens 5 Jahren und höchstens 10 Jahren unter 
polizeiliche Aufsicht gestellt werden. Indeß sollen bloß mündliche Anerbie- 
tungen oder Vorschläge nicht bestraft werden, wenn sie nicht von Geschenken 
oder Versprechungen begleitet oder an Geschenke und Versprechungen geknüpft 
sind, ebensowenig die Annahme eines ähnlichen Anerbietens oder Vorschlages. 
Art. 2. Folgende Bestimmung wird der Nummer ? des Art. 1 des Ge- 
sebes vom 15. März 1874 über die Auslieferung hinzugefügt: „Wegen An- 
erbietungen und Vorschlägen, ein Verbrechen zu begehen oder daran sich zu 
betheiligen, oder wegen Annahme besagter Anerbietungen oder Vorschläge.“
	        
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