Die
ultra-
531 Uebersicht der politischen Enkwickelung des Jahres 1875.
kleine Minderheit der Nation hätte stützen können, so wäre einem
solchen, wie er auch hätte heißen mögen, fast nichts anderes übrig
geblieben, als die Nation nach außen zu beschäftigen und die Schwä-
chen seiner Stellung wo möglich durch kriegerische Erfolge zu decken
oder auszufüllen. Die Republik allein hat das nicht nöthig, und
wenn sie sich überhaupt halten und auf die Dauer in Frankreich
festsetzen will, hat sie im Innern vorerst mehr als genug zu thun
und kann vernünftiger Weife nicht daran denken, den Frieden, dessen
sie bedarf, muthwillig auf's Spiel zu setzen. An ein freundschaft-
liches Verhältniß zwischen Deutschland und Frankreich ist auf Jahre
hinaus nicht zu denken und selbst die Aufrechthaltung des Friedens
zwischen beiden ist bei der Natur des französischen Volkscharakters
niemals gesichert, aber die Spannung zwischen beiden hat wenigstens
nachgelassen und sind die Beziehungen vorerst wenigstens leidliche ge-
worden, wozu der französische Minister des Auswärtigen, Herzog
Decazes, das seinige beitrug.
Allein alsbald trat von derselben Seite, von Frankreich her,
eine neue Gefahr für den Frieden Europa's auf den Plan. Sobald,
monlane
Frage etwa um die Mitte des Jahres 1875, die monarchischen oder sog.
conservativen Parteien der französischen Nationalverfammlung sich
überzeugen mußten, daß sie nicht länger im Stande seien, dem re-
publikanischen Andrang und dem Sieg der republikanischen Verfas-
sungsideen mit Erfolg zu widerstehen, so warfen sie sich, gewisser-
maßen verzweifelnd, dem Ultramontanismus oder Clericalismus in
die Arme und zwar mit um so größerem Erfolge, als dieser auch
auf der linken Seite des Hauses eine ganz namhafte Zahl versteckter
und halber Anhänger zählte und selbst eine Anzahl aufrichtiger Li-
beraler aus mißverstandenem Doctrinarismus demselben in die Hände
arbeitete. So wurde dem Ultramontanismus durch Gesetz auch das
Universitätswesen Frankreichs wenigstens theilweise ausgeliefert, nach-
dem es ihm bekanntlich schon früher gelungen war, seine Hand über
den größten Theil der Volksschulen zu schlagen und ebenso den
größten Theil des mittleren Unterrichtswesens an sich zu reißen.
Es war dies eine furchtbare Niederlage aller wahrhaft liberalen
Anschauungen, die um so größer war, als sie nur das letzte Glied
einer Kette bildete, welche die ultramontane Agitation durch ihre
seit dem Kriege in Scene gesetzten zahlreichen Wundererscheinungen,
Wallfahrten und Vereine aller Art um ganz Frankreich geschlungen
hatte, um die moderne Weltanschauung und den modernen Staat