Full text: Europäischer Geschichtskalender. Sechzehnter Jahrgang. 1875. (16)

60 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Febr. 16—18.) 
bestimmt sei, den Widerstand der katholischen Geistlichkeit gegen den Staat 
zu brechen. Der Entwurf sei durchaus verfassungsmäßig und basire auf Art. 
15 der Verfassung. Der Minister führt zum Verweise der Bedürfnißfrage des 
Gesetzes an, daß die jetzige Staatsverwaltung des bischöflichen Vermögens des 
Bisthums Gnesen Jahre lang hindurch vorgekommene Unterschlagungen auf- 
gedeckt habe, wovon die bischöflichen Behörden Kenntniß gehabt hätten. Er 
verliest einen Bericht des betreffenden Rechnungsbeamten und hebt sodann 
hervor, die katholischen Kirchengemeinden müßten in den Stand gesetzt werden, 
ihr Eigenthum nicht von Fremden mißbrauchen zu lassen. Der Minister führt 
sodann auf Verlangen Windthorst's die Namen der betreffenden Geistlichen aus 
den Rechnungsberichten an, die er nur aus Schonung habe verschweigen wollen. 
16. Februar. (Bayern.) II. Kammer: Ein Theil der ultra- 
montanen Partei ist bezüglich des von der Regierung dem Landtage 
vorgelegten Landtagswahlgesetzes zu einem Compromiß mit der Fort- 
schrittspartei geneigt; die extrem-ultramontane Partei will jedoch 
von einem solchen nichts wissen. 
Die Differenz zwischen beiden Parteien bezieht sich eigentlich nur auf 
die Bildung der Wahlbezirke, da über den Gesetzentwurf selbst und die dem- 
selben zu Grunde liegenden Principien beide Kammerparteien wesentlich ein- 
verstanden sind. Die extrem- ultramontane Partei verlangt jedoch eine Wahl- 
kreiseintheilung ganz und ausschließlich in ihrem Interesse und Sigl erklärt 
in seinem „Vaterland“ geradezu: „Unserer Ansicht nach würde sich die An- 
nahme dieses von der Regierung vorgelegten Wahlgesetzes seitens der „Pa- 
trioten“ dem glorreichen Votum vom 18. Juli 1870 und vom 21. Januar  
1871 würdig an die Seite stellen“, übrigens in voller Verzweiflung beifügend: 
„Die Hauptsache ist — das Steinchen! Ohne eine baldige, ohne eine ge- 
waltige rettende Katastrophe in Europa werden wir mit oder ohne Kammer 
so oder so des Teufels, nämlich ganz preußisch, und dann ist es Wurst. ob 
die klappernden „Reichs"-Parlamentsmühlen gehen oder still stehen. Das ist 
zwar traurig und bitter zu sagen, aber es ist wahr, und was darunter oder 
darüber, das ist vom Schwindel.“ 
Der Kriegsminister legt der Kammer den bayerischen Militär- 
etat für 1875 auf Grund des Reichsgesetzes, sowie einen Gesetzes- 
entwurf zu Regelung der Rechtsverhältnisse der bayerischen Militär- 
beamten nach der Reichsnorm vor. 
17. Februar. (Mecklenburg.) Landtag: Auf Veranlassung 
des Verfassungs-Comite's findet eine Abstimmung darüber statt, ob 
die Erhaltung der Ritterschaft und Landschaft als politische Corpora- 
tionen als Vorbedingung des Eingehens auf die Verhandlungen über 
die landesherrliche Proposition in der Verfassungsangelegenheit auf- 
recht zu erhalten sei oder nicht. Die Landschaft erklärt sich als Stand 
für die Beseitigung der Ritterschaft und Landschaft; die Ritterschaft 
stimmt mit 88 gegen 19 Stimmen für die Erhaltung derselben. Die 
Aussicht auf eine Verständigung bezüglich der Verfassungsreform ist 
damit bereits wieder auf ein Minimum reducirt. 
18. Februar. (Preußen.) Der (ultramontane) „Westfälische
	        
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