Full text: Europäischer Geschichtskalender. Sechzehnter Jahrgang. 1875. (16)

78 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (März 17—18.) 
fassung. Reichensperger nennt es einfach ein „Gesetz der Rache“. 
v. Sybel schildert die Zustände der katholischen Landestheile und die 
ultramontane Agitation und gibt dadurch zufällig zu einer stürmi- 
mischen Kundgebung für den eben eintretenden Fürsten Bismarck 
Anlaß. Bismarck spricht gegen die Rede des protestantischen Mitglieds 
der ultramontanen Partei, den (ehem. Rundschauer der Kreuzzeitung) 
Abg. v. Gerlach, über den Satz: „Man muß Gott mehr gehorchen, 
als den Menschen“. Der Antrag der Ultramontanen, das Gesetz an 
eine Commission zu weisen, wird abgelehnt, und die Berathung im 
Plenum und zwar schon am folgenden Tage beschlossen. 
17. März. (Preußen.) Abg.-Haus: Der Abg. Wehrenpfennig 
bringt in der Commission betr. die Vermögensverwaltung katholischer 
Kirchengemeinden ein Amendement ein, welches die Wirkungen des 
sog. Sperr- oder Brodkorbgesetzes auch auf alle Zahlungen an Geist- 
liche aus Mitteln der Kirchengemeinden auszudehnen bezweckt. Dar- 
nach sollen dergleichen Zahlungen, solange das Sperrgesetz in Wir- 
kung bleibt, nur mit Zustimmung der Staatsregierung geleistet 
werden dürfen; diese Zustimmung aber muß versagt werden, solange 
die betreffende Diöcese nach Maßgabe des erwähnten Gesetzes gesperrt 
ist. Das Amendement läuft so ziemlich auf eine Sequestration des. 
gesammten Pfarrvermögens hinaus. 
18.—19. März. (Preußen.) Abg.-Haus: Zweite Lesung des 
sog. Sperrgesetzes. Die Sitzung gestaltet sich sofort überaus stürmisch, 
da der (ultramontane) Frhr. v. Wendt die Encyelica oder Bulle des 
Papstes vom 5. Februar in extenso verlesen will und darauf be- 
harrt, da es der Präsident nach der neuen Geschäftsordnung nicht 
hindern kann. So wird denn diese neue Art der Proklamation eines 
päpstlichen Erlasses unter unbeschreiblichem Lärm in's Werk gesetzt, 
die namentlich auch den Zweck hat, die ultramontanen Blätter und 
Blättchen in den Stand zu setzen, die Bulle als Theil der Verhand- 
lungen des Landtags ungestraft zum Abdruck bringen zu dürfen. 
§ 1 des Gesetzes wird mit 263 gegen 88 (ultramontane) Stimmen 
angenommen. § 2 gibt zu einer scharfen Rede Bismarcks gegen 
Windthorst und zu einer bedeutsamen Auseinandersetzung Gneist's 
Anlaß. 
Fürst Bismarck: ...... Der Abg. Windthorst hat meine Behauptung 
kritisirt, wir würden mit diesem Gesetz wenig erzwingen, und daraus gefol- 
gert, daß er nicht zu begreifen vermöge, warum wir es denn überhaupt in's 
Leben gerufen hätten. Der Vorredner begreift ja doch so Manches, was uns 
unverständlich ist; wie ist er denn nicht auf den Gedanken gekommen, der 
doch so nahe liegt: wir finden es des Staates nicht würdig, seinem eigenen
	        
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