88 Das deutsche Relch und seine einzelnen Glieder. (April 5 6.)
rechnung für 1874 einen Ueberschuß von 6,787,459 Thlrn. ergeben
habe.
5. April. (Bayern.) I. Kammer: Der Reichsrath v. Neuffer
stellt einen Antrag im Sinne des Schutzzollsystems, dahin gehend:
„es sei an Se. Maj. den König die Bitte zu richten, anordnen zu
wollen, daß im Bundesrathe durch allerhöchst deren Commissäre
Maßnahmen befürwortet werden, die eine Aenderung der bisherigen
Handelspolitik und vor Allem die entsprechende Revision unseres
Zolltarifs herbeizuführen geeignet erscheinen.“
5. April. (Elsaß-Lothringen.) Die Wahlen der Bezirks-
tage zu dem neuen Landesausschuß fallen fast durchweg in gemäßig-
tem Sinne aus.
6. April. (Deutsches Reich.) In Folge Einspruchs der Aerzte
muß der Kaiser den beabsichtigten Besuch beim König von Italien
für dieses Frühjahr doch wieder aufgeben.
6. April. (Preußen.) Abg.-Haus: Dritte Lesung des sog.
Sperrgesetzes der bisherigen Staatszuschüsse an die katholische Kirche.
Dasselbe wird nach den Beschlüssen der zweiten Lesung und mit dem
Antrag Wehrenpfennig's zu Art. 10, wonach die Steuererheber wäh-
rend der Dauer der Leistungseinstellung Abgaben nicht erheben und
an die Empfangsberechtigten abführen dürfen, gegen die Stimmen
der Ultramontanen und vereinzelter Anderer angenommen.
In der Debatte steifen sich die Ultramontonen, namentlich Reichen-
sperger, neuerdings für ihre Opposition auf die Verfassung, besonders auf
Art. 15 derselben. Ihnen antwortet Gneist: Wir können es nicht ändern,
wenn unsere katholischen Mitbürger meinen, nicht bloß der Glaube und die
Verwaltung der Sakramente und die Lehre gehören zu den wesentlichsten
Heilswahrheiten, sondern die Regierung der Kirche als das Wesentlichste des
Glaubens ansehen, die äußere Ordnung und Verwaltung der Ehe, der Kinder-
erziehung, des gesammten Unterrichtswesens, eines bedeutenden Theiles der
Armengesetzgebung, aller Theile des bürgerlichen Lebens, die eine unmittelbar
sittliche Seite darbieten. Nun frage ich wie ist es unseren katholischen Mit,
bürgern möglich, in einem Staate zu wohnen und zu leben mit dem vollen
Gefühle der Unterthanenschaft ? Sie haben mit dem größten Gefühle dessen,
was heute der Staat als seine Culturaufgabe und seine Rechtsaufgabe im
Besitz hat, die doppelte Regierung des Staates und der römischen Kirche,
und es ist eine der plattesten und gedankenlosesten Phrasen, wenn von der
Kanzel herunter gesagt wird: „Gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist, und
Gott was Gottes ist“, denn das, was Sie grundsätlich zu Gottes Regiment
rechnen, ist heute zu drei Vierteln Staatsregiment und liegt innerhalb der
rechtmäßig überkommenen Regierungsgewalt des Staates. Wenn in solcher
Encyelica steht: Sie sollen zum Gehorsam der göttlichen Gebote verpflichtet
sein, so heißt das: es als Pflicht jedes Katholiken hinstellen, auf dem ganzen
Gebiete der heutigen Culturaufgaben des Staates dem unbedingten Gebote
des Papstes zu folgen und dem weltlichen Gebote massenhaften Widerstand