582 Uebersicht der politischen Entwichlang des Jahres 1876.
ganzen Chanats in das russische Reich unter dem Namen Fergha-
nistan. Damit schloß es vorerst seine Eroberungen in Mittelasien
und fügte seinem Länderbesitz einen Zuwachs von ungefähr 1100
Quadratmeilen hinzu, während die förmliche Einverleibung auch
der übrigen Chanate Turkestans offenbar nur eine Frage der Zeit
und Gelegenheit ist. Gleichzeitig ging es nivellirend und unificirend
im Westen des Reiches vor, indem der Kaiser am 6. Februar die
Stelle eines Generalgouverneurs der Ostseeprovinzen ganz aufhob und
damit einen weiteren Schritt that, diese Provinzen auch des letzten
Scheins einer gewissen Selbstständigkeit und Eigenart zu entkleiden
und mehr und mehr zu russificiren. Dasselbe System wurde auch
gegenüber dem ehemaligen Polen fortgesetzt, wo die griechisch-unirte
Kirche völlig beseitigt und mit der orthodox-russischen verschmolzen,
bald darauf auch das russische Gerichtsverfahren und damit die russische
Sprache als die offigielle Sprache der sämmtlichen Gerichte ein-
geführt wurde. Das ehemalige Czaarthum Polen ward damit
auch thatfächlich immer mehr in das russische Weichselgouvernement
verwandelt und die polnische Sprache um einen gewaltigen Schritt
weiter eingeengt, um sie, wenn möglich, schließlich in die Stellung
eines bloßen Dialectes herabzudrücken. Am bedenklichsten aber viel-
leicht trat diese unificirende und nivellirende Tendenz der innern Po-
litik Rußlands im Jahre 1876 darin zu Tage, daß es Ende Mai
sogar den weiteren Gebrauch der kleinrussischen oder ruthenischen
Sprache in der Literatur und so weit möglich selbst im geselligen
Leben verbot, eine Maßregel, die, ganz abgesehen von ihrer Gewalt-
samkeit und Gehässigkeit, auch an sich viel bedeutender und charac-
teristischer ist, als es auf den ersten Blick scheinen mochte, da der
kleinrussische oder ruthenische Stamm in Rußland eine Bevölkerung
von nicht weniger als zwölf bis fünfzehn Millionen Seelen um-
faßt. So leicht wird die Durchführung der Maßregel selbst den
in ihren Mitteln nicht gerade scrupulösen russischen Beamten
jedenfalls nicht werden. Auch die Auphebung der Leibeigenschaft,
die große Maßregel des Kaisers Alexander, ist eine noch keineswegs
gelöste Frage, indem nach einem offiziellen Ausweis vom März 1876
doch immer noch etwa 2 Millionen Bauern in dem Zustande der
Leibeigenschaft geblieben sind und wohl auch noch längere Zeit darin
bleiben werden, zumal wenn durch den Krieg die Finanzen des rusfi-
schen Staats und die wirthschaftlichen Verhältnisse des Volkes neuer-
dings schwer in Anspruch genommen werden. Man darf nicht