Full text: Europäischer Geschichtskalender. Achtzehnter Jahrgang. 1877. (18)

N besische Keich und seine einzelnen Glieder. (April 13.) 99 
wickelt, daß man nicht einsehe, warum, wenn der ursprüngliche preußische 
Minister der auswärtigen Angelegenheiten das Reich führt und der Kriegs- 
minister von Preußen die deutschen Kriegsangelegenheiten, warum nicht auch 
die übrigen Geschäfte Deutschlands von preußischen Ministern wahrgenommen 
werden könnten. Der Herr v. Ben r!m ein vorichtiger olitite, hat nicht 
so weit gegriffen, sondern *“ greift sich zunächst n n Finanzminister 
Peraus, wohl wissend, daß, wer die Finanzen hat, Uepine von selbst 
ekommt. (Heiterkeit.) Ich meinestheils habe die Ueberzeugung, daß, wenn 
diese Entwickelung eintreten solle, es viel richtiger wäre, um in Deutschland 
die unsicheren Zustände zu beendigen, ein für allemal die übrigen Staaten 
mit Preußen in Verbindung zu bringen (Zuruf), zu annectiren, wenn Sie 
es noch deutlicher hören wollen .. .Heiterkeit). So lange diese Tendenzen, 
wie sie aus den Reihen der national-liberalen Partei fort und fort betrieben 
werden, so lange diese Tendenzen nicht ruhen, kommt in Deutschland niemals 
eine Stetigkeit, niemals ein befriedigender, niemals ein zufriedenstellender 
Zustand. Wenn die Einzelstaaten täglich um ihre Existenz kämpfen müssen, 
wenn sie jede Maßregel, die aus Berlin kommt, darauf prüfen müssen, ob 
wohl etwas dahinter steckt in Bezug auf neues Heranziehen von ihren 
* eitsrechten, wenn sie die Eröffnung jedes Reichstages mit Zagen erwarten 
müssen, weil sie sich nicht klar sind darüber, ob irgend welche unitarische Be- 
strebungen wieder zu Anträgen und Beschl üfsen führen, können die einzelnen 
Staaten unmöglich mit der vollen Hingebung mitarbeiten, die man von 
ihnen wünscht. Ich weih wohl, daß alle Tage behauptet wird, es geschehe 
nichts Anderes, daß man in Berlin sagt: „es fällt Niemanden ein, annec- 
tiren zu wollen“, und daß die Einzelstaaten antworten: „Das glauben wir auch 
gar nicht“, obwohl! man in Berlin allmähli amnectiren will und die Einzel- 
staaten Das auch glauben. (Heiterkeit.) D 4 bei einer solchen Lage die letz- 
teren nicht freudig mitwirken können, ist klar, und wenn der Herr Reichs- 
kanzler hi geklagt über Mangel an Unterstütung von Seiten der Einzel- 
staaten, so möchte ich gern, daß er seine Muße dazu benützte, um sich klar 
zu machen, woher die abwehrende Passivität der Eingelstaalen wohl kommt. 
Denn an dem Tage, wo der Reichskanzler mit fester Hand die Einzelstaaten 
aus der Defensive herausgebracht haben wird, an dem Tage, an dem diese 
die volle Ueberzeugung gefunden haben werden: „Was jetßzt geordnet ist, ist 
geordnet; über diese Hrb##en hinaus will man unsere Souveränetät, unsere 
Competenz nicht mehr beschränken", — werden ismeerhald der gewonnenen 
Grenzen die Einzelstaaten mitwirken, und ich habe die Ueberzeugung, fen 
nüliche mitwirken. (Zuruf rechts.) Ich habe nicht verstanden, was Sie 
sagt haben. Und so lange die sSd, in dieser Hinsicht keine —* 
haben, können sie in Freudigkeit nicht mitwirken. Und ich muß meinestheils 
wünschen, daß namentlich die Herren von der national-liberalen Partei die 
Güte haben, auch in der Richtung ihr Programm und ihre Thaten zu revi- 
diren. Was nun die Frage der Reichsministerien überhaupt betrifft, so kann 
kein Zweifel darüber sein, daß die Geschäfte des Reichs wahrgenommen wer- 
den müssen von einem oder. mehreren Männern, die für die Führung derselben 
verantwortlich sind und deren Kräfte ausreichn, sie zu bewältigen. Darüber 
werden, glaube ich, Alle einig sein und ich für meinen Theil habe kein Be- 
denken, zu sagen, daß ich für meine Person in dieser Auffassung und Be- 
etan woht mitwirken würe s Ministerien zu machen. 
(Hört! Hört! links.) Aber, m. HH., es hat Dos gewisse Voraussetzungen, 
die erst erfüllt werden müssen. " bzt abgetrennte Geschäftskreise sind, wie 
z. B. beim Kriegsministerium, beim Verkehrswesen in Post und Telegraphie, 
bei der Marine, wo mithin wegen der festen Begrenzung ein Ueber reisen in 
die Competenzen der einzelnen Staaten nicht zu erwarten ist, würde die so- 
7“ 
 
	        
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