DHs benische Reich uud seine einzelnen Glieder. (April 27.) 109
beunruhigenden Tendenz zu erläutern, und Moltke erklärt sich mit
dieser Erläuterung vollkommen einverstanden.
27. April. (Deutsches Reich.) Reichstag: zweite Verathung
der Vorlage des Bundesraths bez. Erhebung einer Ausgleichsabgabe
von Eisenwaaren 2c. und des Antrags Löwe's auf weitergehenden
Schutz der deutschen Industrie. Der letztere wird mit großer Mehr-
heit abgelehnt und ebenso auch die Vorlage der Negierung mit 212
gegen 111 Stimmen.
Der Kampf der Tebatte wischen den Freihändlern und den Schupß-
zöllnern ist ein überaus lebhafter, theilweise geradezu heftiger, zumal der
Ausgang ungewiß schien. Zuletzt sprechen Schorlemer-Ast und Bamberger.
Der Erstere sucht die Minderheit des Centrums, darunter namentlich die Land-
wirthe, zur Negiernngsvorlage hinüberzuziehen, der Letytere die Minderheit
der Nationalliberalen zur Opposition. Da Niemand das Ergebniß voraus-
berechnen kann, ist die Spannung eine ungeheure. Ein Anendement Scipio-
Spielberg sucht eine vermittelude Stellung; es will den 75 Pf.-Zoll nur auf
grobe Gußwaaren und Eisenbahnschienen einführen. Tie erste entscheidende
Abstimmung ist über die Frage, ob, entgegen diesem Antrage, in Ueberein-
stimmung mit der Negierungsvorlage auch anderes Materialeisen der Gruppe,
zu welcher Eisenbahnschienen gehören, mit Zoll zu belegen sei. Die Schupß-
zöllner versäumen es, an diesem entscheidenden Punkt die namentliche Ab-
stimmung zu beantragen; die Abstimmung mittelßt Aufstehen und Sitßzen-
bleiben ergibt erst bei der Gegenprobe nach dem Urtheil der Sin über
die Mehrheit für Verwerfung der Regierungevorlage in diesen Eisenbranchen.
Gegen die Vorausberechnung ergibt sich die Minderheit unter den National-
liberalen für die Regierung schwächer, die Mehrheit im Centrum für die
Regierungsvorlage stärker. Die Wbenser sind am Morgen zur Opposition
übergegangen; einerseits folgen in Abwesenheit des Freiherrn v. Franemsein
die bayerischen Clericalen in erheblicher Zahl Windthorst, die Fortschritts-
partei stimmt bis auf ihren Wirttemberzer geschlossen gegen die Regierung,
die Conservativen desgleichen nahezu ashieffn offen, andein die Elsässer und
Socialdemokraten für die Regierung. 7 dieser ersten Abstimmung fallen
natürlich auch alle weitergehenden Anträge T, Der §1 der Regierungs-
vorlage kommt nun zur definitiven Abstimmung, in der Gestalt, daß er nur
die in dem Antrag Scipio aufrecht erhaltenen groben Gußwaaren und Schienen
mit einem Zoll belegt. Es ist für den Paragraph in dieser Beschränkung immer
noch eine Micbrbeit bKäglich insofern die Minderheit geschlossen bleibt und mit
Scipio-Spielberg eine ausreichende Zahl aus der Mehrheit auf die Minder=
heit übergeht. Aber auf diesen Fall der Abstimmung ist man im schuß-
zöllnerischen Lager gar nicht vorbereitet. Es tritt daher hier die vollständigste
eeroute ein; die Einen stimmen für den Paragraph, um nur ein kleines
Zöllchen zu frten die Andern dagegen, weil es ihnen zu wenig bietet und
man -*! loß für eine Anzahl Werke Schutzzoll einführen will. nSo er-
#eben sich bei der namentlichen Abstimmung nur 111 für, 212 gegen. Die
ocialdemokraten halten es nicht der Mühe werth, überhaupt zu lnmen,
sie enthalten sich der Abstimmung.
Minister Achenbach: Die Regierung fei sich der Consequenz der
von ihr vorgelegten Maßregel wohl bewußt. Ob Frankreich die Absicht ge-
habt habe, die deutschen Interessen zu verlehen, sei gleichgiltig: die Verlehung
dieser Interessen sei eine Thatsache und das Vorgehen der deutschen Regierung
beßhalb gerechtfertigt. Die jetige Maßregel habe schon 1848 einen Präcedenzfall.