112 HDos beuische Keich und seine rinzeluen Glieder. (Mai 3—15.)
clericalen; seit dem Tode des geistreichen Malinckrodt ist dieselbe sichtlich
bergab gestiegen. Die Conservaliren gewannen in dem greisen Herrn v. Kleist-
Retzow eine glänzende Redekraft, welche daneben die von ihr gehegten Hoff-
nungen oder Befürchtungen sofort durch engen Anschluß an die national-
liberale und freiconfervative Partei dementirte. Die Socialisten stiegen von
9 auf 11 Stimmen; sie streben sichtlich, wenn auch nicht immer erfolgreich,
nach größerer Sachlichkeit und Maßhaltung.
— Mai. (Deutsches Reich.) Die militärischen Blätter con-
statiren mit Besriedigung den raschen Fortgang der deutschen Festungs-
bauten.
Nach dem Plan, welcher für Neuanlagen und Verstärkung der deutschen
Feltungen 1873 entworfen und genehmigt worden ist, sollte die gänzliche
Vollendung der Bauten in els Jahren, also 1884, beendet sein. Dieselben
sind jedoch so beschleunigt und ist hiebei eine so umfassende Thätigkeit ent-
wickelt worden, daß ein großer Theil jetzt bereits fertig ist, der andere aber
lange vor Ablauf der planmäßigen Zeit vollendet sein wird; namentlich be-
zieht sich dies auf die zum Schutze der Westgrenze bestimmten Festungen
Köln, Koblenz, Mainz, Rastatt, Ulm und Ingolstadt.
— Mai. (Waldeck.) Aus dem kleinen Ländchen erschallen
neuerdings ziemlich lebhafte Schmerzensschreie über die unbefriedi-
gende und unhaltbare innere Lage und sein Verhältniß zu Preußen,
zumal da mit Ende dieses Jahres der sogen. Accessionsvertrag mit
Preußen abläuft.
Das Tragikomische an der Situation des kleinen Ländchens ist, daß
dort Niemand, weder der Fürst noch die Bevölkerung, den Fortbestand der
staaklichen „Selbständigkeit“ wünscht, daß man dieselbe jedoch beim besten
Willen nicht los werden kann, sich aber durch die bisherige Weigerung
Preußens, das Ländchen zu annectiren, argen Verlegenheiten ausgesetzt sieht
für den Zeitpunkt des Erlöschens des Accessionsvertrages, der Ende dieses
Jahres abläuft. Bekanntlich lag die Sache im Jahre 1867 so, daß man
schon damals in Waldeck allerseits das Aufgehen in Preußen wünschte. Der
Fürst insbesondere war bereit, sich, allerdings mit dem gesammten Domänen=
besitz, in's Privatleben zurückzuziehen. Was Preußen an der Annexion hin-
derte war der Wunsch, die damals durch verschiedene unfreiwillige „Deposse-
dirungen“ erregte Besorgniß der deutschen Fürsten nicht noch zu verstärken.
o kam die „Accession“ zu Stande; der Fürst behielt die Ehrenrechte des
Regenten sammt dem Ertrage der Domänen, Preußen übernahm die gesammte
Verwaltung des Ländchens und führte die waldeck'sche Stimme im Bundes-
rathe, bezahlte diese Ehre aber durch Deckung des waldeck'schen Deficits, das
allmählich auf etwa 300,000 Mark anwuchs. Daß troß dieses Opfers der
preußischen Staatskasse für die Förderung des Landeswohls nicht so gesorgt
wird, als wenn Waldeck ein preußischer Kreis wäre, ist wohl zu Kanben —
das liegt in der Natur einer solchen durchaus isolirten Verwaltung eines
ganz kleinen Gebiels mit spärlichen Hülfsmitteln.
15. Mai. (Deutsches Reich.) Die Unterhandlungen über
die Erneuerung des Handelsvertrags mit Oesterreich-Ungarn gerathen
in Folge der schutzzöllnerischen Tendenzen der österreichischen Regie-
rung in's Stocken: die deutschen Unterhändler kehren von Wien vor-
erst nach Berlin zurück.