Full text: Europäischer Geschichtskalender. Achtzehnter Jahrgang. 1877. (18)

6 Allgemeine Chronik. 
6. März. (Deutsches Reich: Bayern.) Die neue Sigl'sche „kath. Volks- 
partei“ constituirt sich in München und stellt ihr Programm fest. 
„„ (Portugal.) Das Ministerium Fontes Pereira gibt, da es ihm 
nicht gelungen ist, dos Deficit im Budget zu beseitigen, seine Ent- 
lassung und wird durch ein Ministerium Avila ersetzt. 
„ „ (Italien.) Senat: verwirft mit 105 gegen 92 Stimmen den von 
der Dep.-Kammer angenommenen Gesetzentwurf betr. Bestrafung des 
Mißbrauch der geistlichen Amtsgewalt. 
„ „ (Verein. Staaten.) Präsident Hayes bestellt sein erstes Cabinet. 
demselben sitzt als Minister des Innern der deutsche Karl Schurz, 
dessen Programm eine gründliche Reform des Beamtenwesens verlangt. 
10.—12. „ (Deutsches Reich.) Reichstag: Generaldebatte zur 2. Lesung des 
Reichsbudgets für 1877/78. Dasselbe ergibt ein Deficit von 25—26 
Mill., welche nach dem Antrage der Regierung durch Erhöhung der 
Matricularbeiträge aufgebracht werden sollen. Die Debatte gibt dem 
Reichskanzler neuerdings Gelegenheit, sich über die Frage der Er- 
richtung von Reichsministerien auszusprechen. Ein zunächst ziemlich 
unmotivirter Ausfall des Reichskanzlers gegen den Marineminister 
v.  Stosch veranlaßt diesen, vom Kaiser seine Entlassung zu fordern. 
„  „   (Frankreich.) Senat: die Rechte setzt mit Hülfe der orleanistischen 
Fraction die Wuhl eines Bonapartisten zum lebenslänglichen Senator 
durch mit 142 gegen 140 Stimmen. Das Journ. des Deb. brand- 
markt die Mithülfe der Orleanisten zu dieser Wahl als einen Scandal. 
 „   „  (Italien.) Dep.-Kammer: genehmigt den Gesetzentwurf betr. Ein- 
führung des Schulzwangs mit 208 gegen 20 Stimmen. Der Reli- 
gionsunterricht in den Volksschulen soll nur facultativ und nur auf 
Verlangen der Eltern in besonderen Unterrichtsstunden ertheilt werden. 
11. „ (Rußland) schlägt England durch Gen. Ignatieff die Unterzeichnung 
eines Protokolls bez. der orientalischen Frage vor und zwar in London, 
und legt demselben einen Entwurf vor. England ist nicht ungeneigt, 
verlangt aber, der Pforte ein Jahr Frist für ihre Reformen ge- 
währt werde und das Rußland inzwischen abrüste. 
12. „ (Rom.) Der Papst ernennt 11 neue Cardinäle  und hält eine ful- 
minante Allocution wider Italien. 
13. „ (Deutsches Reich.) Reichstag: In Fortgang der Etatsberathung 
kommt der (fortschrittliche) Abg.  Hänel nochmals auf die Frage von 
Reichsministerien zurück und veranlaßt den Reichskanzler zu einer 
neuen Auslassung über die Organisation des Reichs. 
„—22. März. (Frankreich.) Dep.-Kammer: Große Eisenbahndebatte. 
Der Ankauf der kleineren nothleidenden Bahnen durch den Staat wird 
mit 246 gegen 207 Stimmen abgelehnt, die Frage ihrer Fusion unter 
Beihülfe des Staats an eine Commission gewiesen. Die Idee der Staats- 
bahnen hat immerhin seit einem Jahre gewaltig an Boden gewonnen. 
15. März. (Deutsches Reich.) Reichstag: der Etat der  Zölle gibt zu 
einer sehr lebhaften Debatte für und wider Schutzzölle Anlaß. 
„  „ (Rußland.) Gen. Ignatieff geht von Paris nach London und unter- 
handelt dort persönlich über die Formulirung des von ihm vorge- 
schlagenen Protokolls. 
16. „ (Deutsches Reich.) Bundesrath: überweist die Entscheidung des 
Streits zwischen Preußen und Sachsen bez. der Berlin-Dresdener 
Bahn dem Appellationsgerichte der Hansestädte in Lübeck. 
18. „ (Oesterreich-Ungarn: Oesterreich) Eine große Parteiconferenz der 
verfassungstreuen Fractionen bes österreichischen Reichsrathes lehnt 
einen Antrag des Abg. Sturm auf Abänderung resp. Abschaffung 
des Instituts der Delegationen mit 102 gegen 58 Stimmen ab. 
 
	        
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