Full text: Europäischer Geschichtskalender. Achtzehnter Jahrgang. 1877. (18)

Ns berisoe Reich und seine einjelnen Slieder. (Ende Juni — Juli 5). 125 
Gemeinde aufgefordert, das Glaubensbekenntniß mit ihm laut herzusagen, 
um dadurch für den rechten Glauben Zeugniß abzulegen. 
— Juni. (Preußen.) Das Berliner Stadtgericht und das 
Berliner Kammergericht verurtheilen den Redacteur der „Waage“, 
Dr. Guido Weiß, wegen einer angeblich an dem deutschen Kaiser 
begangenen „indirekten“ Majestätsbeleidigung zu dreimonatlicher Fe- 
stungshaft. 
Das Urtheil macht großes Aufsehen und unterliegt seitens der Presse 
nicht ohne Grund vielfach einer schneidenden Kritik. Die „indirekte Majestäts- 
beleidigung“ ist nämlich in einer scharfen Kritik des Dreikaiserbündnisses ge- 
funden worden, welches Herr Dr. Weiß als gar nicht existirend nachzuweisen 
fr gut fand und damit nach Ansicht der Gerichte den Kaiser der Täuschung 
es politischen Publikums beschuldigt hat. 
3. Juli. (Bayern.) Zusammentritt des Landtags. Die II. 
Kammer wählt den ultr. Baron v. Ow mit 78 von 152 Stimmen 
zum Präsidenten. Der liberale Gegencandidat, Frhr. v. Stauffenberg, 
erhält 74 Stimmen. Zum Vicepräsidenten wird Kurz (ultr.) mit 78 
Stimmen gewählt, der lib. Gegencandidat v. Schlör erhält 73 Stim- 
men. Zu Schriftführern werden Jörg und Frhr. v. Soden (beide 
ultram.) gewählt. Die Linke gibt bei dieser Wahl weiße Zettel ab. 
Das Bureau der Kammer ist also aus denselben Personen wie beim 
vorigen Landtage zufammengesetzt. Bei der Wahl des Finanzaus- 
schusses müssen sich die „Gemäßigten“ Jörg's dazu verstehen, 3 oder 
4 „Extreme“ der Partei Sigl in denselben zu wählen und ebensoviel 
von den Ihrigen zu opfern. 
4. Juli. (Deutsches Reich.) Die offiz. preuß. Prov.-Corr. 
erinnert nachdrücklich und ausdrücklich an die Erklärungen des Prä- 
sidenten des Reichskanzleramtes v. Hofmann im Reichstage über die 
Handelspolitik der Reichsregierung. Die öffentliche Meinung glaubt 
darin nicht nur eine Antwort auf die Wünsche der kürglich in Frank- 
furt versammelten Industriellen erkennen zu sollen, sondern auch eine 
Andeutung zu finden, daß die neuen Instructionen der Commissäre 
für die Unterhandlungen mit Oesterreich über einen neuen Handels- 
vertrag wesentlich auf denselben Grundsätzen beruhten, die dahin 
gingen, auf die leidende Industrie zwar möglichste Nücksicht zu neh- 
men, aber entschieden ohne vom Freihandelsystem auf das Schutzgöoll- 
system überzugehen. Es ist eben darum wenig Aussicht, daß eine 
Einigung zwischen Deutschland und Oesterreich über einen neuen 
Handelsvertrag werde erzielt werden. 
5. Juli. (Deutsches Reich.) Großes Aufsehen macht eine 
gelegentlich der zu Breslau abgehaltenen Generalversammlung des
	        
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