Full text: Europäischer Geschichtskalender. Achtzehnter Jahrgang. 1877. (18)

160 He bealsche Keich und seine einzelnes Glirder. (Ot. 26—27.) 
Das Organ Lasker's und der parlamentarisch ausschlaggebenden 
national-liberalen Partei faßt das Resultat der zweitägigen Debatte sohgendrr- 
maßen zusammen: „Eine zweitägige hochpolitische Debatte, die mit einem rein 
negativen Ergebniß abschließt, ist sicherlich keine erfreuliche Erscheinung; zum 
Glück aber ist die Resultatlosigkeit der Verhandlung des Abgeordnetenhauses 
über den Urlaub des Grafen Eulenburg nur eine formelle. Die Situation 
hat erheblich an Klarheit gewonnen, und dies ist unter allen Umständen ein 
positiver Gewinn. Allbekannte Vorgänge in den letzten Wochen vor der Er- 
öffnung der Landtagssession mußten in Betreff der Fortführung der Verwal- 
tungsreform ernstliche Besorgnisse erregen. Nur eine unumwundene Erklärung 
der Regierung konnte vollen Aufschluß darüber geben, ob in der innern 
Politik eine Wandlung stattgefunden habe, bezw. beabsichtigt sei oder nicht. 
Diese Erklärung liegt nunmehr vor. Die TDerwaltungresorm wird nicht 
sistirt, sie wird in dem Geist, in welchem sie begonnen worden, zum Abschluß 
gebracht werden — das ist der unzweideutige Inhalt der Versicherungen, 
welche sowohl der Vicepräsident des Staatsministeriums als der stellvertretende 
Minister des Innern gegeben haben. In dieser Beziehung ist also eine Wand- 
lung nicht zu constatiren. Es kommt nur darauf an, den Umfang des Re- 
sormplanes, der zur Ausführung gelangen soll, genau festzustellen. Kreis- 
und Provinzialordnung sind geschaffen. Zum Abschluß des ganzen Reform- 
werkes fehlt nach oben ein Gesetz über die Behörden-Organisation, nach unten 
eine Reform der Städte-Ordnung und eine Landgemeinde-Ordnung. Außerdem 
handelt es sich um die Uebertragung der gesammten Verwaltungsreform, selbst- 
verständlich unter Berücksichtigung der individuellen Verhältnisse der einzelnen 
Provinzen, auf die gesammte Monarchie. Das letztere und das Behörden- 
Organisationsgesetz erklärt auch die Regierung zu wollen. Dagegen betrachtet 
sie die Reform der Städte-Ordnung und den Erlaß einer Landgemeinde-Ord- 
nung nicht als integrirende Bestandtheile des Reformplaues. Sie leugnet 
nicht das Bedürfuiß derselben; aber sie erkennt sie nicht als unerläßliche 
Bedingung für den Abschluß des gegenwärtig in der Ausführung begriffenen 
Reformwerkes an. Damit ist die Differenz zwischen dem gegenwärtigen Stand- 
punkte der Regierung und den Forderungen der Mehrheit der Volksvertretung, 
ja selbst früheren Erklärungen des Ministers des Innern, klar bezeichnet. 
Welche Stellung war dieser Sachlage gegenüber zu nehmen?! Sollte man an 
die Regierung in der Form eines Mißtrauensvotums die Aufforderung zum 
Rücktritt richten, um anderen Männern Platz zu machen? Die Personen der 
Minister sind dieselben wie seit Jahren, nur Graf Eulenburg ist, voraus- 
sichtlich auf immer, aus ihrem Kreise zurückgetreten und einstweilen durch 
einen Mann ersetzt, der für die Fortführung der Verwaltungsreform zum 
mindesten nicht schlechtere Garantien bietet, als er. Welcher Unbefangene 
würde es verstehen, wenn man diese Männer, welche die Kreis= und Pro- 
vinzialordunng solidarisch durchgesetzt haben, welche sich solidarisch für die 
Abschließung des Reformwerks in dem bisherigen Geiste verpflichten, mit der 
anzen Schärfe eines parlamentarischen Votums der Vertrauenswürdigkeit für 
ar erklärte? Andrerseits freilich lag ccbensowenig ein Grund vor, durch ein 
feirrliches Vertrauensvotum volle Zufriedenheit mit dem von dem Regierungs- 
isch aus dargelegten Standpunkte zu bekunden. Mielmehr konnte die Aufgabe 
nur sein: die eigenen Forderungen genau zu formuliren und sie der Regie- 
rung zur Bedingung weiteren Zusammengehens zu machen. Dies hat der Abg. 
Lasker gethan. Er hat keinen Zweifel darüber gelassen, daß die nationalliberale 
Partei zu eine Landgemeinde-Ordnung und eine Reform der Städte-Ordnung 
im Zusammenhange mit der gegenwärtigen Verwaltungsreform nicht zu ver- 
zichten gewillt ist, und er hat von einer Verständigung hierüber die fernere 
Unterstühung der Regierung durch die Nationalliberalen abhängig gemacht.“
	        
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