Full text: Europäischer Geschichtskalender. Achtzehnter Jahrgang. 1877. (18)

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Eine conservalivere Anschanung drückt sich folgendermaßen über das 
Resultat der Debatte aus: „Man würde den HH. Prof. Virchow und Hänel 
bitter Unrecht thun, wenn man sie für verkappte Bismärcker hielte, aber die 
Geschäfte des Hru. v. Biemarck haben sie in diesen Tagen so vortrefflich ge- 
führt, daß der Eremit von Varzin sie selber nicht besser hätte besorgen können, 
wenn er hieher gekommen wäre. Es sah vor acht Tagen recht düster und 
unheimlich für das Ministerium aus. Die öfsentliche Meinung war ziemlich 
erregt und die Paröle, daß wir der Anarchie entgegensteuerten, schien vor- 
trefflich geeignet, auf die Massen zu wirken. Die Fortschrittspartei hatte ge- 
glaubt, die Gunst der Situation für sich ausnutzen zu können, und ohne auch 
nur die Nationalliberalen zu fragen, ging sie mit einem Antrage vor, dessen 
Annahme den Rücktritt des Ministeriums — oder die Auflösung des Abge- 
ordnetenhauses — zur nothwendigen Folge haben mußte. Die National= 
liberalen hatten also die Wahl, einen dieser Anträge zu unterstützen oder 
selbst einen zu formuliren. Sie erfuhren am Mittwoch privatim, daß der 
Minister Friedenthal eine „befriedigende“ Erklärung abgeben werde, waren 
aber doch so vorsichtig, daß sie sich eine eventuelle Resolution präparirten 
für den Fall, daß ihnen die minislerielle Erklärung nicht befriedigend er- 
scheinen sollte. Zur Ablehnung des fortschrittlichen Antrags waren sie so 
wie so entschlossen. Ale sie nun aber erfuhren, daß das Ministerium jeden 
Antrag, der wie ein Tadel aussähe, auch als Mißtrauensvotum auffassen 
würde, da mußten sie sich die Frage stellen, ob ihnen der Sturz des Mini- 
steriums oder eine Neuwahl erwünscht sei. Keine dieser beiden Perspektiven 
konnte ihnen gefallen. Das Ministerium, in welchem Camphausen, Achen- 
bach, Falk, Friedeuthat sipen, ist gar nicht so wenig liberal, als es aus- 
geschrieen wird, und die letzten Wahlen zeigen, daß der „confervative Hauch“ 
im Lande immer stärker weht. Deßhalb entschlossen sich die Nationalliberalen 
einmal kurz und bündig, was sonst eben nicht ihre starke Seite ist, die Fort- 
schrittspartei einfach ihrem Schicksal zu überlassen und selbst gar keinen An- 
trag einzubringen. Damit war die Schlacht entschieden, ehe sie noch begonnen. 
Für die Fortschrittspartei hieß es jetzt nur noch, sich mit so guter Miene 
als möglich besiegt zu geben. Aber sie hatte noch nicht genug Fehler be- 
gangen. Statt sich auf dem Schilde ihres Antrages heimtragen zu lassen, 
trug sie den Ultramantanen ihre Bundesgenossenschaft an, und diese waren 
boshaft oder stolz genug, die Allianz abzulehnen, so daß sie nicht einmal 
für die fortschrittliche Resolution slimmten, während die Fortschrittspartei 
ihnen hernach Heerfolge leistete. Trotz der Bundesgenossenschaft der Polen, 
ie bei Allem sind, was gegen die Negierung gerichtet ist, brachte es die 
Opposition in der entscheidenden Abstimmung doch nur auf 132 Stimmen 
egen 218 (Nationalliberale, Freiconservative und Conservative), welche sich 
1 Regierung mit Fug und Recht als ihre Majorität anrechnen darf.“ Von 
demselben Standpunkte geht folgende Anschauung aus: „Die Präsidenten bei- 
der Häuser des Landtages hat der Kaiser sehr freundlich empfangen und sich 
dabei auch über die Tagesangelegenheiten geäußert. Er hat dabei keinen 
Zweifel walten lassen, daß er sich das königliche Recht, Minister zu ernennen 
und zu beurlauben, nicht verkümmern lassen werde. Zu erreichen war also 
im Hause der Abgeordneten mit der Erörterung über die Beurlaubung der 
Minister gewiß nichts. Gewiß ist es ein bedauernswerther Uebelstand, daß 
zwei der bedeutendsten Minister gleichzeitig beurlaubt sind. Für den Grafen 
Eulenburg hätte sogleich ein Nachfolger ernannt werden können, wie das auch 
in dessen Münschen lag; aber wir sind alle einverstanden, daß Fürst Bis- 
marck bei der durch den russisch-türkischen Krieg herbeigeführten Verwicklung 
weniger als je zu entbehren ist. Die längere Beurlaubung und die theil- 
weise Beibehaltung seiner Amtsthätigkeit war die einzige Form, durch welche 
Schulthess, Europ. Geschichtskalender. XVIII. Bd. 11 
  
 
	        
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