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Eine conservalivere Anschanung drückt sich folgendermaßen über das
Resultat der Debatte aus: „Man würde den HH. Prof. Virchow und Hänel
bitter Unrecht thun, wenn man sie für verkappte Bismärcker hielte, aber die
Geschäfte des Hru. v. Biemarck haben sie in diesen Tagen so vortrefflich ge-
führt, daß der Eremit von Varzin sie selber nicht besser hätte besorgen können,
wenn er hieher gekommen wäre. Es sah vor acht Tagen recht düster und
unheimlich für das Ministerium aus. Die öfsentliche Meinung war ziemlich
erregt und die Paröle, daß wir der Anarchie entgegensteuerten, schien vor-
trefflich geeignet, auf die Massen zu wirken. Die Fortschrittspartei hatte ge-
glaubt, die Gunst der Situation für sich ausnutzen zu können, und ohne auch
nur die Nationalliberalen zu fragen, ging sie mit einem Antrage vor, dessen
Annahme den Rücktritt des Ministeriums — oder die Auflösung des Abge-
ordnetenhauses — zur nothwendigen Folge haben mußte. Die National=
liberalen hatten also die Wahl, einen dieser Anträge zu unterstützen oder
selbst einen zu formuliren. Sie erfuhren am Mittwoch privatim, daß der
Minister Friedenthal eine „befriedigende“ Erklärung abgeben werde, waren
aber doch so vorsichtig, daß sie sich eine eventuelle Resolution präparirten
für den Fall, daß ihnen die minislerielle Erklärung nicht befriedigend er-
scheinen sollte. Zur Ablehnung des fortschrittlichen Antrags waren sie so
wie so entschlossen. Ale sie nun aber erfuhren, daß das Ministerium jeden
Antrag, der wie ein Tadel aussähe, auch als Mißtrauensvotum auffassen
würde, da mußten sie sich die Frage stellen, ob ihnen der Sturz des Mini-
steriums oder eine Neuwahl erwünscht sei. Keine dieser beiden Perspektiven
konnte ihnen gefallen. Das Ministerium, in welchem Camphausen, Achen-
bach, Falk, Friedeuthat sipen, ist gar nicht so wenig liberal, als es aus-
geschrieen wird, und die letzten Wahlen zeigen, daß der „confervative Hauch“
im Lande immer stärker weht. Deßhalb entschlossen sich die Nationalliberalen
einmal kurz und bündig, was sonst eben nicht ihre starke Seite ist, die Fort-
schrittspartei einfach ihrem Schicksal zu überlassen und selbst gar keinen An-
trag einzubringen. Damit war die Schlacht entschieden, ehe sie noch begonnen.
Für die Fortschrittspartei hieß es jetzt nur noch, sich mit so guter Miene
als möglich besiegt zu geben. Aber sie hatte noch nicht genug Fehler be-
gangen. Statt sich auf dem Schilde ihres Antrages heimtragen zu lassen,
trug sie den Ultramantanen ihre Bundesgenossenschaft an, und diese waren
boshaft oder stolz genug, die Allianz abzulehnen, so daß sie nicht einmal
für die fortschrittliche Resolution slimmten, während die Fortschrittspartei
ihnen hernach Heerfolge leistete. Trotz der Bundesgenossenschaft der Polen,
ie bei Allem sind, was gegen die Negierung gerichtet ist, brachte es die
Opposition in der entscheidenden Abstimmung doch nur auf 132 Stimmen
egen 218 (Nationalliberale, Freiconservative und Conservative), welche sich
1 Regierung mit Fug und Recht als ihre Majorität anrechnen darf.“ Von
demselben Standpunkte geht folgende Anschauung aus: „Die Präsidenten bei-
der Häuser des Landtages hat der Kaiser sehr freundlich empfangen und sich
dabei auch über die Tagesangelegenheiten geäußert. Er hat dabei keinen
Zweifel walten lassen, daß er sich das königliche Recht, Minister zu ernennen
und zu beurlauben, nicht verkümmern lassen werde. Zu erreichen war also
im Hause der Abgeordneten mit der Erörterung über die Beurlaubung der
Minister gewiß nichts. Gewiß ist es ein bedauernswerther Uebelstand, daß
zwei der bedeutendsten Minister gleichzeitig beurlaubt sind. Für den Grafen
Eulenburg hätte sogleich ein Nachfolger ernannt werden können, wie das auch
in dessen Münschen lag; aber wir sind alle einverstanden, daß Fürst Bis-
marck bei der durch den russisch-türkischen Krieg herbeigeführten Verwicklung
weniger als je zu entbehren ist. Die längere Beurlaubung und die theil-
weise Beibehaltung seiner Amtsthätigkeit war die einzige Form, durch welche
Schulthess, Europ. Geschichtskalender. XVIII. Bd. 11