164 Das beuilche Reic und seinte einzeluen Glirder. (Okt. Ende — Nov. 2.)
Debatte im preußischen Abgeordnetenhause vom 26. und 27. d. M.
wird in der Presse daran erinnert, daß Deutschland in Wahrheit
immer noch inmitten der in diesem Frühjahr begonnenen Reichs-
kanglerkrisis stehe. Man werde sich erinnern, daß der Ausgleich dieser
Krisfe damals nicht bewirkt ward, sondern daß derselbe auf spätere
Zeiten vertagt wurde. Der Reichskanzler verlangte damals seine
Entlassung, weil er die Ueberzeugung gewonnen hatte, daß bei den
dermalen in Preußen und im Reiche herrschenden Verhältnissen eine
weitere Fortbildung der Institutionen des Reiches und eine Anbah-
nung und Durchführung der für das Gedeihen des Reiches noth-
wendigen gesetzgeberischen Reformen sich nicht werde erreichen lassen.
Der Reichskangler konnte damals eine Aenderung in diesen Verhält-
nissen nicht herbeiführen. Gleichwohl erklärte er sich aus Gründen
des Patriotismus bereit, im Amte zu bleiben, natürlich aber mit
dem Vorbehalie, daß in Zukunft diese Aenderungen herbeigeführt
würden, welche die Vorbedingung für sein erfolgreiches politisches
Wirken bilden. Der Zeitpunkt für diese Neorganisationen oder viel-
leicht besser für diese Neuschöpfungen müsse früher oder später ein-
treien. Man werde vielleicht nicht fehlgreifen, wenn man ihn an
den Beginn der nächsten Reichstagssession knüpfe.
2. November. (Preußen.) Abg.-Haus: erste Lesung des Bud-
gets für 1878 1 und einer von der Regierung gemachten Anleihe=
Vorlage im Gesammtbetrage von 126,745,000 Mk. behufs Ausfüh-
rung größerer Staatsbauten fast in allen Ressorts des Staatsmini-
steriums.
Die Fortschrittspartei erklärt die Anleihe-Vorlage von vorne herein
für insoferne verfassungswidrig, als sie das Ministerium von der Verpflichtung
entbinde, alljährlich die aus der Anleihe zu bestreitenden Ausgaben auf den
Etat zu bringen. Artikel 99 der Verfassungsurkunde verlange dies für alle
Einnahmen und Ausgaben schlechthin. Entsprechend dem gleichlautenden u
tikel in der Reichsverfassung sei diese Vorschrift im Reichshaushalt auch b
den umfassendsten Bauten stets genan befolgt worden. Mit Annahme der
Regierungsvorlage dagegen würde auf 5 bis 8 Jahre die Regierung nahezu
das ganze Extraordinarium (die ordentlichen Mittel neben der Anleihe ließen
ja wenig für ein Extraordinarium übrig) im Voraus bewilligt erhalten. Da
die ordentlichen Einnahmen nach der der preußischen Verfassung eigenthüm-
lichen Bestimmung auch ohne Etatsbewilligung forterhoben werden, die or-
dentlichen Ausgaben aber sich durchweg aus den bestehenden Gesetzen und
Verwaltungseinrichtungen von selbst ergeben, so bleibe ja von einem Brdget,
recht des Landtags wenig mehr übrig. Von den 127 Mill. Mark, welche
auf dem Ausgabeetat, der dem Anleihegesetz beigefügt ist, sich befinden, fallen
übrigens nur ca. 50 Mill. Mark auf neue, in den übrigen Stoatshaushalt
oder in die Etats der Vorjahre noch nicht ufgenommene Bauten. Darunter
befindet sich das große Bauschquantum für Instizgebäude zur Durchführung