Full text: Europäischer Geschichtskalender. Achtzehnter Jahrgang. 1877. (18)

190 Ves denlsthe Reit and seint einzelnen Slieder. (Dez. 7 —8.) 
wärtigen Amt unverändert zu lassen und kein Stück seiner Sachen in die 
vollständig fertiggestellte neue Dienstwohnung im Palais Nadziwill hinüber- 
zubringen. Wie die unversohnlichen Gegner der Politik des Fürsten Bismarck 
sich auf die nahende Entscheidung vorbereiten, darauf haben die neulichen 
Andeutungen des Abg. Windthorst-Meppen und der altconservativen Heiß- 
sporne einige Schlaglichter fallen lassen. Die conservative Partei wäre gang 
bereit, es einmal ohne den Fürsten Bismarck zu versuchen, wenn der Kaiser 
sich bereit finden lassen sollte, ihnen die Zügel in die Hand zu geben. Die 
„Kreuzzeitung“ versichert zwar heute: auf ein Paktiren über Leistungen und 
Gegenleistungen könnten die Conservativen sich den Ultramontanen gegenüber 
nicht einlassen; sie erörtert aber gleichzeitig die Möglichkeit, zu einem modus 
vivendi mit dem Centrum zu drlangen, wenn dasselbe ernstlich die Hand 
zum Frieden mit dem „Staate“ biete, d. h. mit einer conservativen Regie- 
rung, welche die Nevision der Maigefetz in dem Sinne anubietet, Eingriffe 
des Staats in die innerkirchlichen Fragen zu beseitigen. Wenn die „Kreuz- 
zeitung“ es für angemessen hält, die Pläne ihrer Partei so offen zur Schau 
zu tragen, so kann man darüber nicht mehr im Zweifel sein, daß der Aus- 
bruch der Krisis unmittelbar bevorsteht.“ 
7. Dezember. (Preußen.) Die an diesem Tage beendigie 
Subscription auf 50 Mill. Mk. 4prozentige preußische consolidirte 
Anleihe ergibt 288 Mill. Mk. Es wird den Zeichnungsstellen über- 
lassen, sich über die Reduction mit den Zeichnern zu vereinbaren. 
7. Dezember. (Deutsches Reich.) Der preußische Finanz- 
minister beschränkt, als eine Art Repressalie in Folge des Scheiterns 
der Unterhandlungen mit Oesterreich über die Erneuerung des Han- 
delsvertrags, die „mißbräuchlich“ bisher bestandene und geduldete freie 
Einführung von roher Leinwand aus Vöhmen nach Schlesien 
injoferne, daß der tarifmäßige Eingangsoll für Leinwand so lange 
bezahlt werden muß, bis der Eingang derselben zu einem Leinwandmarkt oder 
einer Bleicherei durch amtliche Bescheinigung nachgewiesen ist. Die Maßregel 
trifft die böhmische Leinwandfabrikation sehr empfindlich und ruft dort laute 
Klagen hervor, entspricht aber durchaus dem strikten Wortlaute des noch 
eltenden Handelsvertrages, Die Reclamationen der österreichischen Regierung 
leiben daher erfolglos, können sie aber darüber aufklären, daß die Einfüh- 
rung von Schutzzöllen in Oesterreich ihre zwei Seiten haben wird. 
8. Dezember. (Elsaß-Lothringen.) Eröffnung des Landes- 
ausschusses in Straßburg. 
Der Oberpräsident v. Möller theilt in seiner Eröffnungsrede die 
einzelnen Berathungsgegenstände mit und fügt hinzu: „Die neue Formel, 
unter welcher Ihnen die Vorlagen zur Beschlußfassung überreicht werden, 
bezeichnet eine neue Phase in der politischen Gestaltung dieses Landes. Ihre 
Beschlüsse über Gesetzesvorlagen haben fortan eine andere Bedeutung, als in 
früheren Sessionen. Das Geseh, betresfend die Landesgefetzgebung von Elsaß- 
Lothringen, vom 2. Mai d. J. erhebt den Landesausschuß von der Stufe einer 
begmtachtenden Verjammang zu einem wirklichen Factor der Gesetzgebung. 
Eine Frucht der ersten positiven Mitwirkung der elfässisch- bothringisahn Ab- 
geordneten im Reichstage ist das huldvolle Zeichen des landesväterlichen Wohl- 
gefallens an der fortf rm bolitischen Entwicklung Elsaß-Lothringens, 
welches Se. Maj, der Kaiser die besondere Gnade hatte, selbst dem Lande zu
	        
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